"Falter"-Bericht

"Maximal diskret": Wie Nehammer Afghanen abschieben wollte

Bereits im Jänner 2021 kam es zu einer medienwirksamen Abschiebung von Schulkindern.
Bereits im Jänner 2021 kam es zu einer medienwirksamen Abschiebung von Schulkindern.(c) APA (Christoph Glanzl)
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Interne Unterlagen zeigen, wie Deutschlands Regierung bei einem österreichischen Abschiebeflug im Jahr 2021 helfen wollte. Kanzler Nehammer kontert: Die Rückführungen waren "kein Geheimnis".

Österreich plante kurz vor der Machtübernahme der Taliban in Kabul im Sommer 2021 Abschiebeflüge nach Afghanistan. Konkret wollte der damalige Innenminister und heutige Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) "aus innenpolitischen Gründen" Afghanen abschieben. Dafür sollte die türkis-grüne Regierung Hilfe aus Deutschland bekommen. Allerdings: Der vorgesehene Sammelflug scheiterte in letzter Sekunde. So weit, so bekannt. Dennoch bekommt die Aktion nun wieder mediale Präsenz.

Grund dafür ist, dass die deutschen Sender WDR und NDR gemeinsam mit der "Süddeutschen Zeitung" und dem "Falter" auf vertrauliche Dokumente, Depeschen, E-Mails, Botschaftsberichte und Korrespondenzen der deutschen Bundesregierung gestoßen sind, aus denen nun zitiert wird. Konkret wird auf die damalige Einschätzung des deutschen Botschafters eingegangen. Weshalb das gerade jetzt geschieht, lässt sich nur mutmaßen; als möglich gilt, dass es sich um einen Zufallsfund im Rahmen anderweitiger Recherchen handelt.

Deutsche Botschaft: ÖVP fürchtet "erstarkende FPÖ"

Worum geht es nun? In einem Bericht der deutschen Botschaft in Wien heißt es den Medien zufolge, man habe Anfang August 2021, als Kabul schon längst unter Beschuss der Taliban war, "aus einem ÖVP-geführten Ressort" gehört, "dass an eine demonstrative Abschiebung einer größeren Zahl von Afghanen per Charterflug gedacht werde, wobei damals eine Provokation des grünen Koalitionspartners wohl bewusst in Kauf genommen werden sollte". Hintergrund war der Mord an einer 13-Jährigen in Wien − begangen durch drei Afghanen −, der in Österreich für Aufregung sorgte.

"AUT (Österreich, Anm.) braucht aus innenpolitischen Gründen Abschiebungen", wurde dazu in den deutschen Akten vermerkt. Die ÖVP fürchte, eine "erstarkende FPÖ", die ihr nur einen "engen politischen Spielraum" lasse, habe die deutsche Botschaft in Wien nach Berlin gemeldet. Die Anfrage aus Österreich traf beim damaligen deutschen Innenminister Horst Seehofer anscheinend auf offene Ohren. Der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für Afghanistan eruierte die Abschiebemöglichkeiten "mit Blick auf die Absprache von BM Seehofer und dem AUT Innenminister". So hielt es das Auswärtige Amt fest. Die Afghanen akzeptierten unter Bedingungen: eine kleine Anzahl, nur schwere Straftäter und "maximal diskret".

Der deutsch-österreichische Abschiebeflug hätte dann am 3. August 2021 um 21.30 Uhr von München starten sollen. An Bord waren mehrere Straftäter - verurteilt zum Beispiel wegen gefährlicher Körperverletzung, sexueller Belästigung, Volksverhetzung, Diebstahl mit Waffen, Drogenmissbrauch -, aber nicht ausnahmslos "schwere Straftäter", wie es die afghanische Regierung verlangt habe.

In letzter Sekunde sagten Bundespolizei und Innenministerium den Flug ab. Eine heftige Explosion hatte Kabul erschüttert, kurz darauf fiel die afghanische Hauptstadt in die Hände der Taliban. Von dort schrieben Beamte: Für die Sicherheit der Rückzuführenden könne nicht garantiert werden. Schon zuvor hatte Wien abgesagt: Zwei Afghanen aus der österreichischen Bundeshauptstadt hätten gefehlt, einer davon R.A., dessen Abschiebung der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gestoppt habe, schreibt nun der "Falter".

Nehammer: „Das war kein Geheimnis“

Nehammer erklärte zu den Vorwürfen: "Österreich hat von Beginn an klargestellt, dass Rückführungen nach Afghanistan so lange stattfinden werden, solange es rechtlich möglich ist. Das war kein Geheimnis und ist unzähligen öffentlichen Statements zu entnehmen."

Aus dem Innenministerium hieß es in einer Stellungnahme: "Festgehalten wird, dass Österreich stets betont hat, dass so lange Rückführungen nach Afghanistan möglich sind, diese auch durchgeführt werden." Seitens Österreichs sollten mit dem Charterflug alleinstehende Männer nach Afghanistan rücküberstellt werden. "Am Abend vor dem Charter erhielt Deutschland von Afghanistan die überraschende Information, dass seitens Afghanistans nun doch kein gemeinsamer Charter mit Deutschland akzeptiert wird, weshalb Deutschland uns informierte, dass die Beteiligung Österreichs nicht möglich ist."

Drei Afghanen schuldig gesprochen

Am Wiener Landesgericht ist Anfang Dezember der Prozess rund um den gewaltsamen Tod der 13-Jährigen in einer Wohnung in Wien-Donaustadt mit Schuldsprüchen zu Ende gegangen. Der 24-jährige Hauptangeklagte wurde wegen Mordes und die beiden anderen wegen Mordes durch Unterlassung schuldig gesprochen. Zudem wurden alle drei der Vergewaltigung schuldig erkannt. Alle drei müssen demnach für lange Zeit in Haft. Die Urteile sind nicht rechtskräftig.

>>> Zum „Falter“-Bericht

(APA/Red. )

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