Prozess

Todkranke Ehefrau erwürgt: „Es war eine Gefühls-Explosion“

Im Straflandesgericht Wien (Bild: Gerichtssaal) musste S. (55) als Angeklagter das Sterben seiner Ehefrau erklären. Die Anklage lautete auf Mord.
Im Straflandesgericht Wien (Bild: Gerichtssaal) musste S. (55) als Angeklagter das Sterben seiner Ehefrau erklären. Die Anklage lautete auf Mord.Kauffmann
  • Drucken

Nach mehr als 30 Jahren glücklicher Ehe erwürgte ein Mann aus Wien seine sterbenskranke Frau. Den Geschworenen erklärt der 55-Jährige verzweifelt: „Ich wollte, dass es zu Ende ist und wir uns im Jenseits wiedersehen.“ Das Urteil: sieben Jahre Haft wegen Totschlags.

Er weint. Und schluchzt. Die Richterin fragt: „Geht's?“ Er nickt. Alsdann beginnt seine Einvernahme. S. gibt alles zu. Er hat am 24. Februar dieses Jahres seine Frau erwürgt. Nun steht er wegen Mordes vor den Geschworenen. Die Getötete hat Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium gehabt.

„Ihn als Mörder zu verurteilen widerstrebt dem natürlichen Rechtsempfinden.“ Das sagt Verteidigerin Astrid Wagner. Anstelle von Mord stellt sie das – weniger streng zu ahndende – Delikt „Totschlag“ in den Raum. Dieses ist erfüllt, wenn (unter anderem) bei Tatbegehung eine „heftige Gemütsbewegung“ vorliegt.

Welche Umstände das Gemüt des nunmehrigen Angeklagten bewegt haben, versucht am Mittwoch im Straflandesgericht Wien die vorsitzende Richterin Claudia Zöllner zu erkunden. S. gibt bereitwillig Antwort. Die Nervosität zwingt ihn schneller zu sprechen, als es dem Protokoll guttut. „Ich bekenne mich schuldig. Ich habe das gemacht“, sagt der Mann in seine Corona-Maske. Und erzählt dann sofort, wie es einmal war, in besseren Tagen.

„Ich war über 30 Jahre mit meiner Frau verheiratet. Sie war die Frau meines Lebens. Wir beide sind durch dick und dünn gegangen.“

Die beiden haben sich 1988 am Arbeitsplatz, einer Sozialversicherungsanstalt, kennengelernt. Zwei Jahre später heirateten sie. Im Jahr darauf kam die gemeinsame Tochter auf die Welt.

Plötzlich alles anders

Die vergangenen Jahre arbeitete S. bei einer dem Bund gehörenden Gesellschaft. Im Sommer des Vorjahres war plötzlich alles anders. „Da haben ihre Beschwerden begonnen. Sie hatte Magenschmerzen.“

Zunächst erkannten die Ärzte nicht, woran die Frau leidet. Bis sie wegen Gelbsucht ins Krankenhaus kam. „Im Spital wurde Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium diagnostiziert. Da ist alles in mir zusammengebrochen.“

Richterin: „Wurde Ihnen mitgeteilt, dass es keine Hoffnung gibt?“ Antwort unter Tränen: „Ja, das war uns beiden klar.“

Ende des Vorjahres begann eine Palliativ-Chemotherapie. Die Patientin dachte aber nicht ans Aufgeben. Sie kämpfte. Um jeden einzelnen Tag. Die beiden schmiedeten noch einmal große Pläne. Sie buchten eine Hamburg-Reise für den Sommer. Im Jänner dieses Jahres heirateten sie kirchlich, 30 Jahre nach ihrer seinerzeitigen standesamtlichen Hochzeit.

Und ein freudiges Ereignis stand ins Haus: Die beiden wurden Großeltern. Fünf Tage nach der Hochzeit. Die Frau freute sich darauf, ihr Enkelkind kennenzulernen. Dazu sollte es aber nicht mehr kommen.

„Keine Sterbehilfe nach dem Gesetz"

„Wir müssen zum Tattag kommen“, wirft die Richterin ein. Denn die Rechtsfrage – sie will, sie muss letztendlich gelöst werden. Die Verteidigerin bringt noch rasch eine neue Variante vor: „Es ist ein klassischer Fall von Sterbehilfe.“ Nein, ist es – objektiv gesehen – nicht, sofort korrigiert sich die Anwältin selbst: „Keine Sterbehilfe nach dem Gesetz. Da hätten vorher Gutachten eingeholt werden müssen.“ Und auch S. weiß genau, dass ein Mann, der seine neben ihm im Bett liegende Frau spontan erwürgt, freilich nichts tut, was auch nur annähernd den Gesetzen entspricht.

Der Besuch des Enkelkindes, die Aussicht darauf, die Tochter, den Schwiegersohn und das Baby, ein Mädchen, im Haus zu haben, alles zu managen – das überstieg die Kraft des Mannes.
„Ich hatte keine Kraft. Das war so ein Druck. Ich wusste keinen Ausweg mehr. Alles war dunkel und finster.“ Und: „Wenn meine Tochter meine Frau so gesehen hätte. Das hätte sie umgehaut.“ Mit „so“ meint S. abgemagert, von der Krankheit gezeichnet. „Man hat gesehen, wie diese Krankheit sie vernichtet.“

Der Entschluss seine Frau zu erwürgen, sei wie aus dem Nichts gekommen. Er habe das nicht geplant. Nicht vorher darüber nachgedacht. „Es war wir eine Explosion, eine Gefühls-Explosion.“ Und dann: „Ich dachte wir gehen jetzt ins Jenseits.“ S. weinend: „Und dann habe ich zugedrückt.“

„Sie versuchte noch etwas zu sagen"

Es sei ihm „furchtbar lang“ vorgekommen. Bei der Polizei hat S. zu Protokoll gegeben: „Sie versuchte noch etwas zu sagen, konnte aber aufgrund des Würgens nicht mehr.“

Als es sich so anfühlte, als lebe die Frau nicht mehr, griff S. nach den schweren schmerzlindernden Medikamenten, die für die Kranke gedacht waren. Davon gab es in der Wohnung jede Menge.

Er schluckte eine Überdosis, trank eine halbe Flasche Whiskey und wollte sterben. „Ich wollte, dass es zu Ende ist und wir uns im Jenseits wiedersehen.“

Noch bei Bewusstsein telefonierte S. mit seiner Tochter. Diese verständigte Rettung und Polizei. Für die Frau kam jede Hilfe zu spät. Der Mann wurde gerettet.

Nun fragt ihn ein Richter aus dem dreiköpfigen Senat: „Wieviel Egoismus steckt in der Tötung ihrer Frau?“ Der Angeklagte überlegt kurz und gibt dann zur Antwort: „Ich habe es getan, um uns beiden zu helfen. Ich dachte, ich kann uns beide erlösen."  

Allgemein begreifliche Gemütsbewegung

Auch die Tochter sagt vor Gericht aus. Das müsste sie nicht. Aber sie will. Sie sagt: „Mein Papa ist ein sehr liebevoller Papa. Und er war ein sehr liebevoller Ehemann. Er hat meiner Mutter jede Woche Blumen gebracht. Er hätte ihr die Welt zu Füßen gelegt - wenn er gekonnt hätte.“

Letztendlich folgen die Geschworenen der Rechtsauffassung der Verteidigerin. Nicht Mord, wie dies die Staatsanwältin haben will, findet sich im Urteil. Sondern Totschlag. Die Strafe: sieben Jahre Gefängnis. Bis zu zehn Jahre wären möglich gewesen. Bei Mord hätte es auch ein „Lebenslang“ werden können. Aber die Laienrichter, die bekanntlich allein über Schuld oder Schuldlosigkeit entscheiden, sind der Ansicht, dass bei S. eine „heftige" und auch eine „allgemein begreifliche Gemütsbewegung“ gegeben war. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.    

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.