Sowjetgeschichte

EU-Parlament stuft ukrainische Hungersnot Holodomor als Genozid ein

November 26, 2022, Kyiv, Ukraine: The Bitter Memory of Childhood statue honoring the victims of the Holodomor famine on
November 26, 2022, Kyiv, Ukraine: The Bitter Memory of Childhood statue honoring the victims of the Holodomor famine onIMAGO/ZUMA Wire
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Abgeordnete verurteilten fast einhellig den von der Sowjetführung planmäßig herbeigeführten Tod von Millionen Menschen in der Ukraine 1932/33. Russland solle sich dafür entschuldigen.

Das Europaparlament hat die zu Sowjetzeiten gezielt herbeigeführte Hungersnot vor 90 Jahren in der Ukraine als Völkermord eingestuft. Die Abgeordneten verurteilen die Taten, die damals den Tod von Millionen Ukrainern zur Folge hatten, wie es in einer am Donnerstag in Straßburg verabschiedeten Resolution heißt.

Zurzeit würden erneut grausame russische Verbrechen gegen das ukrainische Volk verübt - wie zum Beispiel die Zerstörung der zivilen Energieinfrastruktur im Winter, beklagten die Parlamentarier. Die Resolution erhielt quer über alle Fraktionen deutliche Unterstützung: 507 Abgeordnete stimmten dafür, zwölf waren dagegen, 17 enthielten sich. Die wenigen Nein-Stimmen und Enthaltungen kamen laut einer Aufstellung des EU-Parlaments von einzelnen Mandataren der rechtsnationalen Fraktion „Identität und Demokratie (ID)“ bzw. von „Die Linke" sowie unabhängigen Parlamentariern.

Ein Verbrechen in der ganzen UdSSR

Unter Verantwortung des sowjetischen Diktators Josef Stalin waren dem sogenannten Holodomor ("Mord durch Hunger") in den Jahren 1932 und 1933 allein in der Ukrainischen Sowjetrepublik bis zu vier Millionen Menschen (manche Angaben sind noch höher) zum Opfer gefallen. Der Hintergrund war, die ukrainische Kultur zugunsten der russischen zurückzudrängen, vor allem aber die widerspenstigen Bauern zu bestrafen, die sich der Kollektivierung der Landwirtschaft widersetzten. Durch vermehrte Exporte von Agrargütern unter Rückgriff auf Lagerbestände und private Vorräte sollten auch die Industrialisierung befeuert und zugleich der Bauernstand geschwächt werden.

Methodisch wurde die Hungersnot vor allem durch Requirierung aller Agrarvorräte, Plünderung von Bauernhöfen auch mit Hinsicht auf Alltagsgegenstände aller Art von Seife über Werkzeug bis zur Kohle und durch Unterbrechung der meisten Straßen- und Bahnverbindungen für den ländlichen Verkehr erzeugt. Zwei natürliche Missernten hatten zuvor die Ernährungslage und Lagerhaltung schon im Vorfeld verschlechtert.

Bauern und andere Landbewohner waren in ihren Dörfern praktisch eingekerkert, konnten auch die Felder nicht mehr bestellen. Manche schafften es dennoch in Städte, wo sie aber meist endgültig verhungerten und auf offener Straße starben. Die Landesgrenzen wurden geschlossen, sodass niemand fliehen konnte. Es gab zahlreiche Fälle von Kannibalismus.

Harvard University/gemeinfrei

Auch in anderen Regionen der Sowjetunion ging man mit voller Härte inklusive Aushungerung gegen Landwirte vor, die sich gegen die Kollektivierung wandten, teils sogar einige Jahre früher - etwa auch in Russland selbst, in der weißrussischen, georgischen, kasachischen und anderen Sowjetrepubliken. In Russland u. a. starben dabei rund drei Millionen Menschen, in Kasachstan etwa 1,2 bis 1,5 Millionen.

Russland solle sich entschuldigen

Das Plenum des EU-Parlaments forderte Russland als Nachfolger der Sowjetunion auf, sich für die Verbrechen zu entschuldigen. Auch der Deutsche Bundestag hatte den Holodomor vor knapp zwei Wochen als Völkermord eingestuft. Der Menschenrechtsausschuss des österreichischen Nationalrats hatte seinerseits Anfang Dezember die Hungersnot in der Ukraine als "schreckliches Verbrechen" verurteilt. Allerdings gingen die Nationalratsparteien nicht so weit, den Holodomor als Völkermord anzuerkennen.

(APA/DPA/wg)

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