Interview

Recycling: Sagen Sie niemals nur Müll zu ihm!

Gut aufbereitet kann manches, das in der Mülltonne landet, wertvoller Recyclingrohstoff sein.
Gut aufbereitet kann manches, das in der Mülltonne landet, wertvoller Recyclingrohstoff sein.Getty Images
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Roland Pomberger, Leiter des Lehrstuhls für Abfallverwertungstechnik und Abfallwirtschaft der Montan-Uni Leoben, im Gespräch über Abfälle als Rohstoffe und Wiederverwertung als wenig präsente Form des Energiesparens.

Die Presse: Wie geht es Ihnen, wenn Sie etwas wegwerfen? Denken Sie vor Ihrem fachlichen Hintergrund zweimal darüber nach?

Roland Pomberger:Gute Frage (lacht). Ich mache das ziemlich automatisch. Aber auch ich muss manchmal darüber nachdenken, ob es richtig war, und überlege mir dann: Wenn ich schon überfordert bin, wie geht es dann erst anderen?

Wie wertvoll ist denn unser Müll – und darf man ihn überhaupt so nennen?

Ich bevorzuge den Begriff Abfall. Müll ist kein Fachbegriff und bezieht sich darauf, was wir als Bürger wegschmeißen. Abfall ist viel umfassender – und kann wertvoll sein. Auch Gold kann Abfall sein. Andererseits gibt es gefährliche Abfälle, für die man viel Geld bezahlen muss, damit sie ordnungsgemäß behandelt werden. Die Bandbreite dazwischen ist riesig.

Sie haben sich in einer heuer am Rande der Alpbacher Technologiegespräche präsentierten Studie für den Forschungsrat mit Stoffströmen in der industriellen Kreislaufwirtschaft befasst. Die Idee klingt wunderbar: Man nutzt Rohstoffe möglichst oft, spart dadurch Energie und steigert zugleich die Wertschöpfung. Warum funktioniert das nicht längst überall?

In vielen Bereichen funktioniert es schon, wir haben im kommunalen Bereich ein sehr ausdifferenziertes Sammelsystem. Altpapier wird seit mehr als 30 Jahren als Rohstoff für die Papierindustrie genutzt. Altglas ebenso. In der österreichischen Papier- und Glasindustrie ist die Rohstoffversorgung schon bis zu 80 Prozent mit Abfall aufgestellt.

Wo hakt es noch?

Im gewerblichen und industriellen Bereich gibt es eine ganze Reihe von Stoffströmen, die noch besser verwertet werden müssten. Teilweise passiert das – aber noch nicht mit der hohen Wertschöpfung und der hohen Qualität, die möglich wären. Viele Rückstände aus der Produktion werden bisher nur deponiert. Ich nenne es einen Hauptsatz der Abfallwirtschaft: „Abfall geht den Weg des geringsten Geldes.“ Wenn die Deponie das Billigste ist, geht er dorthin. Nur ändert sich jetzt sehr viel, gewisse Rohstoffeigenschaften werden plötzlich anders gesehen im Kontext des Kreislaufgedankens.

Von 250.000 Altautos pro Jahr in Österreich werden aber derzeit nur rund 50.000 recycelt. Woran liegt das?

Das Auto ist an sich ein Produkt mit unglaublichem Rohstoffinhalt: Da sind alle möglichen Metalle, bis hin zu sehr seltenen, drinnen. Tatsache ist, dass wir nur 20 Prozent in Österreich selbst recyceln und hier das Potenzial der Technologien noch nicht einmal ausnutzen. Warum gehen die Autos ins Ausland? Das ist teilweise der Export von Umweltproblemen: Es ist halt billiger, das irgendwo hinzuführen, wo es weniger strenge Umweltauflagen gibt. Viele Autos sind zwar bei uns Totalschaden, werden aber als Gebrauchtauto über die Grenze gebracht, das wird weniger streng kontrolliert. Wenn wir Rohstoffe im Inland und in der EU sichern wollen, müssen wir uns etwas überlegen, dass diese Altautos als Rohstoffträger gesehen werden und zukünftig mehr im Land bleiben und hier unglaublich viel Energie und Treibhausgase einsparen – und nicht irgendwo in Afrika vergammeln.

Sie haben im Sommer, ebenfalls in Alpbach, gesagt: „Abfall ist ein knappes Gut“ und in den Raum gestellt, dass Abfall vielleicht sogar einmal als Rohstoff importiert werden könnte – wie realistisch ist das?

Wenn wir erkennen, dass durch Abfallverwertung und Recycling in hohem Maß Energie und Rohstoffe eingespart werden können, und wenn die dafür benötigten Recyclinganlagen entstehen, bekommen Abfälle plötzlich einen neuen Wert als Rohstoffe und Handelsgut. In manchen Abfällen steckt auch Energie. Seit rund 20 Jahren bereitet man Abfälle auf und macht sie zu Ersatzbrennstoffen, die in der Industrie fossile Brennstoffe ersetzen. In der Energiekrise, in der Gas teuer geworden ist und CO2 etwas kostet, ist das Interesse daran von Betrieben, die in der Vergangenheit nichts mit Abfall zu tun haben wollten, sehr hoch. Sie entwickeln Projekte, um Abfälle als Energieträger einzusetzen. Da muss man sich anschauen: Gibt es überhaupt so viel? Man kann nur nutzen, was da ist, die Abfallmenge lässt sich nicht vermehren.

Ist Abfallimport politisch denkbar?

Momentan wird der Import von Abfällen nach Österreich eher als etwas „Böses“ gesehen. Da müssen wir unser Denken in Zukunft verändern: Wenn wir aufbereitete Abfälle oder Abfälle als Rohstoffe importieren, die uns im Land einen Nutzen bringen, kann das sinnvoll sein. Bei Kunststoffabfällen passiert das schon. Da hat Österreich eine sehr gute Recyclingindustrie: Eine Reihe von Unternehmen recycelt Kunststoffe und verkauft die Granulate international. Sie können ihren Bedarf schon seit Jahren nicht aus Österreich decken und müssen aus anderen Ländern vorsortierte Kunststoffabfälle als Rohstoff importieren. Wir müssen unterscheiden, ob man Abfälle importiert oder exportiert, um sie zu beseitigen, oder ob man daraus eine Wertschöpfung hat. Früher hat man Abfälle exportiert, damit sie weg sind, weil man selbst keine Lösung dafür gehabt hat. Da wurden sie oft in einem anderen Land eingegraben. Das ist nicht mehr Stand der Technik, so funktioniert Abfallwirtschaft nicht mehr. Gut aufbereitet können viele unserer Abfälle Recyclingrohstoffe sein. Sie haben mit dem, was wir als Müll im Kopf haben, überhaupt nichts mehr zu tun.

Abfall hat also ein Imageproblem.

Ja. Wenn ich Sie bitte, mir Abfall zu beschreiben, beschreiben Sie mir mit hoher Wahrscheinlichkeit Ihren Restmüll: etwas, was stinkt, unbrauchbar ist und wo die Fliegen kommen, wenn man es lang stehen lässt. Alles negativ. Keiner denkt im ersten Moment an Papier, Glas, Metalle, Energieträger oder Recyclingbaustoffe.

Wie sehen Sie die Obsoleszenz, also den geplanten Verschleiß von Produkten? Für Laiinnen und Laien klingt es unglaublich, dass das noch immer nicht verboten ist.

Da gab es mit Sicherheit massive Auswüchse, wenn etwa ein elektronisches Gerät ein Programm eingebaut hat, das ein paar Wochen nach Ablauf der Garantie eine Fehlermeldung abgibt. So etwas ist verwerflich. Auf europäischer Ebene gibt es schon Versuche, das zu unterbinden. Die einfachste Art, das zu lösen, wäre, Garantien und Gewährleistungszeiten zu verlängern. Resultat wären Produkte, die länger halten. Aber natürlich haben wir als Gesellschaft ein Problem mit Einwegprodukten, da müssen wir uns auch als Konsumenten bei der Nase nehmen.

In welcher Hinsicht?

Freilich ist es toll, wenn man den Kaffee to go nehmen kann, das ist Lifestyle, aber der Becher wird eben nur ein Mal verwendet. Oder Fast Food. Aber all das produziert viel Abfall. Die EU hat das erkannt und eine Reihe von Kunststoffeinwegprodukten verboten. Plastikeinweggeschirr für die Grillparty wird künftig nicht mehr verkauft werden dürfen. Wir Konsumenten schimpfen zwar über vieles, aber am Ende sind wir die Ursache, warum es die Produkte überhaupt gibt, denn sie müssen ja von jemandem gekauft werden.

Eines der Fachgebiete an Ihrem Lehrstuhl ist „Future Waste“. Was kann man sich darunter vorstellen?

Gemeint sind Produkte, die heute verkauft werden, die aber erst in mehreren Jahren zu Abfall werden. Das heißt, es gibt diesen Abfall noch nicht oder nur in sehr geringen Mengen, und wir haben noch keine wirklichen Lösungen dafür. Eines unserer Leuchtturmprojekte war die Entwicklung eines Recyclingverfahrens für Lithium-Ionen-Batterien. Als ich mir vor elf Jahren mein erstes Elektroauto gekauft habe, habe ich den Autoverkäufer gefragt, was mit der Batterie passiert, wenn das Auto einmal kaputt ist. Das konnte mir, auch nach Recherche, damals keiner sagen. Das ist typischer Future Waste: Es wird zwar das Produkt verkauft, aber man weiß nicht, was am Ende damit passiert. Denken Sie auch an Windräder, Fotovoltaikanlagen und ähnliche Dinge, bei denen noch vieles offen ist. Für die Forschung ist es wichtig, sich schon in einer frühen Phase damit zu beschäftigen, damit man dann, wenn es die Produkte gibt, Lösungen hat.

Eine andere Arbeitsgruppe befasst sich mit digitaler Abfalltechnik. Was ist da die Vision hinter der Forschung?

Manchmal wird auch heute noch händisch sortiert: Der Mensch als Sortiermaschine, er kann viel erkennen. Bei Glas hat man vor circa 30 Jahren begonnen, automatisch verschiedene Glasfarben zu sortieren. Die Technologie, mit der man mittels Sensoren berührungslos erkennen kann, um welchen Stoff es sich handelt, hat sich in den vergangenen Jahren rasant entwickelt. Aber da gibt es noch viel Forschungsbedarf, vor allem, um verschiedene Sensoren oder Formerkennung mit künstlicher Intelligenz zu verknüpfen.

Weihnachten ist die Hochsaison des Konsums. Haben Sie Tipps, worauf man beim Kauf eines Produkts achten sollte?

Wenn Sie einen Garten haben, könnten Sie einen Tannenbaum im Topf kaufen und ihn dann im Garten wieder einsetzen. Und: Muss man immer alles einpacken? Viele Produkte sind schon so schön. Falls doch, könnte man auch Tücher oder Stoffreste nutzen – und nächstes Mal wiederverwenden. Meine Frau und ich schenken einander nichts, sondern überlegen uns gemeinsam etwas, was wir uns gönnen. Und das ist auch schön.

Zur Person

Roland Pomberger (57) leitet seit 2011 den Lehrstuhl für Abfallverwertungstechnik und Abfallwirtschaft der Montan-Uni Leoben. Dort ist auch das Christian-Doppler-Labor für Design und Bewertung einer effizienten, recyclingbasierten Kreislaufwirtschaft beheimatet. Nach dem Studium des Bergwesens – mit Wahlfach Deponietechnik – war er rund 20 Jahre in leitenden Positionen bei Saubermacher, einem Unternehmen im Bereich Abfallentsorgung und -verwertung, tätig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2022)

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