Subtext

Und das Wort ist Geld geworden: Leset dies und werdet reich!

Jeff Bezos schreibt so toll.
Jeff Bezos schreibt so toll.APA/AFP/MANDEL NGAN
  • Drucken

Amazon-Gründer Jeff Bezos ist im Ranking der Milliardäre immer ganz vorn dabei. Das Geheimnis seines Erfolgs? Er schreibt angeblich so toll.

Sie meinen wohl: Wenn wir Journalisten mehr draufhätten als hübsch zu formulieren, würden wir nicht in Redaktionsstuben sitzen, sondern auf einer Jacht in der Karibik. Hab ich auch gedacht. Aber dann fiel mir dieses neue Buch über Jeff Bezos in die Hände, Gründer von Amazon und einer der reichsten Menschen der Welt. Was ist das Geheimnis seines Erfolgs? Geniale Ideen? Knallharte Führung? Kein Betriebsrat für Lagerarbeiter? Weit gefehlt: Er schreibt so toll!

Das erklärt uns der Kommunikations-Coach Carmine Gallo in „The Bezos Blueprint“. Man müsse nur die jährlichen Aktionärsbriefe und internen Memos des supersmarten Milliardärs studieren und nachahmen. So entfessle man sein Potenzial und finde sich in einem „unaufhaltsamen Erfolgskreislauf“ wieder. Toll! Schon 2002 hat Bezos in seiner Firma Präsentationen mit Powerpoint verboten. Statt Schlagworte hinter Punkten aufzureihen, müssen die Manager dort ganze Sätze mit echten Verben formen, über mehrere Absätze lang Fakten und Argumente zu einem Gedankengang fügen – so wie wir. Nach dieser harten Schule haben viele Amazon-Führungskräfte selber höchst erfolgreiche Unternehmen gegründet.

Also ran ans Studium. Rasch merke ich: oje. Die Sätze müssen kurz sein, im Schnitt nur 16 Worte lang. Das war es dann mit den kunstvollen, weit geschwungenen Perioden. Der Weg zur Hölle ist mit Adverbien gepflastert. Kein Geschwafel. Geläufige Vokabel der kurzen Art, möglichst nur ein oder zwei Silben. Als Bezos sein revolutionäres Kindle-Lesegerät vorstellte, tat er das zu 76 Prozent mit Einsilbern. Das ist freilich unfair, weil es im Englischen leichter geht. Sind unsere Wortungetüme schuld daran, dass es im deutschen Sprachraum keine Tech-Weltkonzerne gibt? Egal, wir kürzen, was geht. Das „Oje“ vorhin war schon Frucht der Inspiration: Als Bezos nach der Dotcom-Krise seinen Aktionären gestehen musste, dass ihre Anteile per Jahresfrist 80 Prozent ihres Wertes eingebüßt hatten, begann er seinen Brief mit „Autsch“.

Es regt sich der Reflex: Wir ringen in den Elfenbeintürmen des Feuilletons, umwuchert von Orchideen aus den dazugehörigen Fächern, um intellektuell komplexe Konzepte, für die wir unsere Sprache feiner drechseln müssen. Aber Bezos erzählt ja auch keine Kindermärchen. Er muss seine Investoren mit dem freien Cashflow, Bilanzierungsrichtlinien und Pro-forma-Erfolgsrechnungen konfrontieren. Und er tut das in einer Weise, dass es für Zwölfjährige verständlich ist, was Gallo mit einer bewährten Skala gemessen hat. Dieses Niveau reichte auch für eine legendäre Sponsionsrede vor Princeton-Absolventen. Aber wozu das ganze Wett-Abrüsten von Wörtern und Buchstaben? Hier geigt Gallo mit Neurowissenschaft auf: weil sich das Gehirn beim Lesen nicht anstrengen soll. Je weniger Energie es braucht, um eine Information zu verarbeiten, desto eher bleibt diese in Erinnerung und lässt eine Handlung folgen (mir die liebste: Abo kaufen). Die hehrste Aufgabe unseres Hirns sei, den Energiebedarf des Körpers zu kontrollieren. „Es ist nicht zum Denken gemacht“: Das erklärt viel, und es hat etwas ungemein Tröstliches.

Noch etwas nehme ich mir zu Herzen: während des Schreibens dreimal „So what?“ zu fragen. Interessiert Sie, was ich erzähle? Mache ich klar, warum ich es für interessant halte? Am Ende bin ich doch nur ein Entertainer, der Ihnen die Zeit vertreibt, und werde damit so wenig reich wie der Pianist in der Bar. Aber: So what!

E-Mails an:karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2022)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.