Teppichkünstler

Jan Kath: Mit dem Teppich abheben

Christine Pichler
  • Drucken

Jan Kath hat Teppiche zu edlen Designerstücken gemacht und wurde so zum Botschafter dieser alten Handwerkstradition. Auf der Documenta feierte er zuletzt sein Debüt als Künstler.

Die Kunden fragen nicht mehr nach dem Herkunftsland des Teppichs, sondern nach Jan Kath“, sagt Ali Rahimi. Der Teppichhändler hat zum Interview mit dem Designer in seine Räumlichkeiten in der Wiener Innenstadt geladen und bringt auf den Punkt, wie der Designer für Knüpfwerk den internationalen Teppichmarkt mitgeformt hat.

Rückblickend scheint es logisch und naheliegend, im Teppichdesign „klassische Muster mit modernen Ansätzen zu verheiraten“, wie Jan Kath es nennt. Aber diese Kombination ist das Resultat aus ganz unterschiedlichen Einflüssen, die seine Kreativität prägen: Eindrücke, die Kath als junger Mann von seinen Reisen in Fernost mitnimmt, die intensive Beschäftigung mit dem Handwerk vor Ort, das Recherchieren in jenen Epochen, in denen die Teppichknüpfer Meisterwerke ihrer Zunft hervorgebracht haben. Und das Lesen in den Teppichen, denn nirgendwo vermischen sich Handwerk, Zeitgeist und Geschichte seit jeher so grenzüberschreitend wie in der Teppichknüpferei.


Mit gerade einmal Mitte zwanzig übernimmt Kath in Kathmandu eine Teppichknüpferei und kämpft Ende der Neunziger, wie alle, plötzlich ums Überleben: „Ich musste auf eigene Ideen kommen“, und mit diesen musste „ich auch gegen große Widerstände in der Produktion arbeiten“, erzählt er. Heute, knapp zwanzig Jahre später, wird er mit seinem Unternehmen „gerade nach Aserbaidschan eingeladen, um dem dortigen kulturellen Erbe eine Zukunft zu geben.

Denn die Handwerkskunst“, so Kath, „ist wie eine Sprache, die verloren geht, und wir wurden engagiert, mit den traditionellen Betrieben in den kleinen Orten eine neue Sprache zu entwickeln“ – in einem Land, das, dem persischen Kulturraum entstammend, geprägt von seinem sowjetischen Erbe, auf der Suche nach einer neuen Identität ist.

Die Ausnahme

Und zu dieser soll jetzt ein aus dem Ruhrpott stammender Designer beitragen? Wie war das mit der kulturellen Aneignung? Eine Frage, die auch jüngst in Kassel auf der Documenta ihre Kreise zog. Und gegen die sich Kath in Zusammenhang mit seiner Person entschieden wehrt. Dort, bei der 15. Documenta-Ausgabe, hat er mit seinen provokanten „Rug Bombs“ ein vielbeachtetes Debüt als Künstler gegeben: Überdimensionale Tapisserien, mit denen Kath den Ursprung der Gewalt und deren Resultate untersucht, in die Granaten, Kampfbomber und eine durchschnittliche amerikanische Familie, die im Wohnzimmer mit Maschinengewehr posiert, eingeknüpft sind.

Ursprünglich ein Foto des US-amerikanischen Fotografen Kyle Cassidy, das Kath in Abertausende Knoten übertragen hat. „Ich behaupte“, so Kath, „dass ich bei kultureller Aneignung eine Ausnahme bin. Die Teppichkultur ist ein ‚kleiner Verein‘, und ich bin in diese Welt hineingeboren.“ Als Sohn und Enkel ehemaliger Teppichhändler fühlt sich der gebürtige Bochumer als Teil einer Welt, zu der Menschen aus allen Ländern, Kulturen und Religionen gehören: „Wir sind eine der wenigen Industrien, die traditionell keine Berührungsängste zwischen Kulturen und Traditionen haben. Ich habe nach Wegen gesucht, wie ich Teppiche so bauen kann, dass sie wieder in eine Beziehung zum Heute treten.“


Was sie ja auch früher taten. Mit bäuerlichen Hochzeits-, Jagd- und Kriegsszenen: „Die Frauen am Hindukusch haben wiedergegeben, was sie gesehen haben. Auf ihren Kriegsteppichen etwa den Emir, der auf dem Pferd in den Kampf reitet.“ Später, mit den Sowjets, hielten Bomben und anderes Kriegsgerät Einzug in ihre Teppichmuster: Blüten, die bei genauerem Hinsehen Bomben waren. Die sogenannten War Rugs hatte schon Kaths Vater gesammelt.

Und Kath als Teppichkünstler schreibt sich in diese Tradition ein: „Als ich (1972, Anm.) geboren wurde, war der Krieg gerade einmal ‚gestern‘ gewesen.“ Er fragte den Großvater aus, der als Soldat in der Wehrmacht gekämpft hatte, setzte sich mit dem Holocaust auseinander und mit der Fluchtgeschichte der schlesischen Urgroßmutter. „All diese Eindrücke meiner Vorgängergenerationen stecken ja in mir“, sagt er.

Verknüpfend arbeiten

Als Künstler arbeitet er sich am Zeitgeschehen und seiner eigenen Geschichte ab, als Designer recherchiert er neben Motiven und regionalen Ausprägungen auch epochale Trends, identifiziert die wichtigsten Teppiche ihrer Periode und bricht dann radikal mit den damit verbundenen Sehgewohnheiten. Bei seinen Produktionsmethoden, beim Aufbereiten des Rohmaterials und bei den Knüpftechniken möchte er so nah wie möglich an den Originalen sein. Bei den Produktionsbedingungen hingegen nicht: Für seinen Erfolg musste Kath erst einmal „den Beruf des Knüpfers aufwerten, indem ich das Produkt auf das höchste Level brachte. Denn das Knüpfen war damals ein Job für Tagelöhner.

»„Bei kultureller Aneignung bin ich eine Ausnahme, behaupte ich.“«

Wir wollten aber, dass sich die Menschen darin wiederfinden, Spaß an ihrem Tun entwickeln und gut damit verdienen.“ Auf 6,45 Quadratzentimeter Teppich kommen zwischen 100 und 450 Knoten. Mehr als 2500 Knüpfer arbeiten für Kath in oft noch familiengeführten Werkstätten in Nepal, Thailand, Indien oder Marokko. Zum Einsatz kommen in unterschiedlichen traditionellen Knüpftechniken Garne aus Wolle, Seide und Brennnessel in mehr als 1200 Farben.

Auf seinen Designs und den Werken seiner Knüpferinnen gehen und stehen Besucher in den arabischen Königshäusern ebenso wie Kundinnen in den Showrooms einiger Pariser Luxus­labels oder Gäste in den Privatsuiten des Four Seasons in Kairo. In seiner jüngsten Kollektion, „Savonnerie Surprise“, setzt Jan Kath s„Bei kultureller Aneignung bin ich eine Ausnahme, behaupte ich.“ich mit den Teppichen, „die ursprünglich für die Royals in Frankreich produziert wurden“, auseinander.

Eine dieser auf Betreiben Heinrichs IV. entstandenen Teppichmanufakturen war Anfang des 17. Jahrhunderts in einer ehemaligen Seifenfabrik untergebracht, das Beispiel machte europaweit Schule. Seither werden alle in Europa geknüpften Textilien unter dem Begriff Savonnerie zusammengefasst. Die Savonnerien aus Kaths Feder sind bei Rahimi eingetroffen, der den Designer exklusiv in Österreich vertritt. Die „Rug Bombs“ hingegen sind aus Kassel auf die Art Biennale nach Bangkok weitergereist.

("Die Presse Schaufenster" vom 28.10.2022)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.