Österreich, vormals bekannt als soziales Paradies

Irgendetwas läuft schief: Trotz hoher Ausgaben liegt Österreich bei sozialer Gerechtigkeit nur im OECD-Mittelfeld. Beim Bildungszugang schaut es düster aus.

Im Kanzleramt wurde das Papier sofort aufbereitet und verschickt. Werner Faymanns Pressesprecher lieben dieser Tage vor allem einen Spin: die bisherige Regierung Werner Faymanns trotz des aktuellen und möglichen weiteren Sparkurses als soziale Führung mit Herz und Augenmaß darzustellen.

Zumal die Studie „Soziale Gerechtigkeit in der OECD“ der Bertelsmann-Stiftung, die nicht gerade als sozialdemokratische Vorfeldorganisation gilt, Österreich aus Sicht der Partei Bruno Kreiskys ganz gute Noten ausstellt. Oder besser gesagt: keine schlechten. Rechnet man alle Kriterien zusammen, landet Österreich auf Gerechtigkeitsplatz 9 aller 31 bewerteten Länder. Nach PISA und Co. reicht das für Eigenlob und Applaus auf dem Wiener Ballhausplatz. Haben sich die Milliardenschulden also doch ausgezahlt, die die von Schwarz-Blau nur kurz unterbrochene SPÖ-Kanzlerschaft der vergangenen dreißig Jahre in Kauf genommen hat.

Nicht ganz. Erstens lohnt ein Blick auf die Details. Zweitens ist auch das Gesamtklassement nicht ganz uninteressant: Vor Österreich liegt etwa die Schweiz, die bei geringeren Steuern – vor allem auch für Besserverdiener – und entsprechend überschaubarem Sozialnetz den Kreisky-Enkelkindern schon lange als abschreckendes Beispiel gilt. Vor allem dank der guten Platzierung bei „Arbeitsmarkt“ und „Generationengerechtigkeit“ liegt die Schweiz weit voran. Österreich punktet dafür gerade in jenem Bereich, in dem laut Vertretern sozialer Organisationen vieles im Argen liegen müsste: Wenn es um Armutsvermeidung, also um Armutsquote, Armut von Kindern und Älteren, geht, liegen nur die ewigen Musterschüler Schweden, Dänemark und Norwegen vor Österreich. Da dieser Teil der Studie wesentlich stärker als die anderen Kriterien gewichtet wird, kommt Österreich mit dem roten Auge davon. Interessant die Reaktion aus dem Hause Faymann: Nun gebe es noch die neue Mindestsicherung, dann werde alles noch gerechter. (Dass unter höheren Schulden die Generationengerechtigkeit leidet, ficht Faymann nicht an.)

An dieser Stelle sei einmal kurz die Bemerkung erlaubt: Bei einer Steuerquote von 50 Prozent und Staatsausgaben in horrenden Höhen wäre alles andere als eine gute Platzierung die wahre Sensation. Dass wir bei sozialer Gerechtigkeit nach den Kriterien der Bertelsmann-Stiftung vor Mexiko, Griechenland und der Türkei liegen, war erwartbar. (Dass unter Gerechtigkeit volle Eigenverantwortung und volle Selbstbestimmung ohne eingreifenden beziehungsweise lenkenden Staat verstanden werden kann, war in dieser Studie nicht wirklich ein Thema.)

Wirklich alarmierend ist aber vor allem ein Kriterium: Beim Bildungszugang liegen wir nur auf Platz 24 von 31. Fast ganz Europa hat eine höhere soziale Durchlässigkeit. Das passt zu den anderen schlechten Umfrage- und Textnachrichten von der österreichischen Schulfront. Auch wenn ein schwieriger Bildungszugang nicht dasselbe wie Leseschwäche ist: Das sollte jenen zu denken geben, die glauben, dass Österreichs Schüler beim PISA-Test nur gerade an das nächste Skirennen dachten und deswegen nicht so gut wie die humorlosen asiatischen Streberkinder abschnitten. Wer nicht vernünftig lesen kann, tut sich naturgemäß auf dem weiteren Bildungsweg schwer. Sozial schwache Schüler schaffen den Anschluss nicht, werden auch oft von den eigenen Eltern nicht ermuntert. Schwächen, wie die sprachlichen von Migrantenkindern, werden nicht ausgebessert, sondern mitgeschleppt.

Dass übrigens zahlreiche Länder vor Österreich liegen, die Studiengebühren verlangen, beweist, dass diese Form der Uni-Finanzierung nichts oder nur wenig mit dem freien Hochschulzugang zu hat. In einem Bereich hat die Regierung zumindest in Ankündigungen Besserung versprochen: bei mehr Konzentration und Investitionen in die frühkindliche Bildung nämlich.


Natürlich ruft die SPÖ wie nach jeder Studie reflexartig „Neue Mittelschule!“. Dass die neue Gesamtschule aber eine dringendere Reform von Lehrplänen, Lehrerwahl und deren (finanzieller) Motivation notwendig gemacht hat, passt nicht ins Koalitionsgeplänkel. Doch selbst dort geschehen Zeichen kleiner Wunder: ÖVP-Klubobmann Kopf hat zumindest rhetorisch ernsthaft Reformbereitschaft angedeutet.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2011)

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