Der Nachfolger von Martin Kušej heißt Stefan Bachmann: Mit ihm kommt ein Schweizer Regisseur, der in Deutschland Karriere machte – und enge Verbindungen nach Wien hat.
Der künftige Direktor des Wiener Burgtheaters heißt Stefan Bachmann. Der Regisseur und Intendant, ein gebürtiger Schweizer, ist seit Langem in Deutschland aktiv, derzeit am Schauspiel Köln, und in Wien kein Unbekannter: Schon oft hat der 56-Jährige hier erfolgreich Stücke inszeniert, von 2008 bis 2012 war er fester Regisseur am Burgtheater – nur zuletzt, ausgerechnet in der Ära Kušej, war er hier nicht präsent.
Am Mittwochvormittag wurde er von Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer offiziell vorgestellt. Angebliche Gerüchte rund um einen Dreiervorschlag wies diese bei der Präsentation zurück: Es habe zuletzt einen Zweiervorschlag gegeben, aus dem sie gewählt habe. Martin Kušej sei nicht darauf gestanden. Der aktuelle Burgtheater-Direktor, der selbst auf eine Verlängerung seines Vertrages gehofft hatte, zog am Dienstag noch seine Bewerbung zurück.
„Hemmungslos offen"
Bachmann selbst bezeichnete seine Bestellung als „unglaublich“ und einen „Realität gewordenen Traum.“ Über konkrete Pläne für seine Intendanz wollte er auch auf mehrmalige Nachfrage vorab noch nichts verraten: „Das sind kleine Flämmchen, die muss man schützen." Es gebe aber bereits ein Konzept: In seiner Bewerbung habe Bachmann sich dazu bekannt, alles dafür zu tun „damit die Menschen die Burg wieder stürmen“. Dazu gehöre etwa, Stars an das Haus zu binden. Außerdem wolle er Schwellen abbauen und auf eine sich verändernde Stadtgesellschaft reagieren. Er sei „hemmungslos offen“, sagte Bachmann - und das sei nicht frivol gemeint: Ihm sei wichtig, „ohne beliebig zu werden, ein sehr großes Panorama aufzuspannen, was Theater kann“. Tradition und Erneuerung müssten sich dabei „nicht als Gegensatzpaare gegenüberstehen“.
Fix ist, dass mit ihm erneut ein inszenierender Intendant das Burgtheater übernimmt: Eine Regiearbeit pro Jahr wird in seinem Vertrag vereinbart sein, weitere könnten zusätzlich von der Bundestheater-Holding genehmigt werden, erklärte deren Geschäftsführer Christian Kircher, der Bachmann als begeisterungsfähig und humorvoll beschrieb.
Regie-Erfolge und Mobbing-Vorwürfe
Stefan Bachmann ist seit 2013 Intendant am Schauspiel Köln. Zuletzt inszenierte er da Molières „Der eingebildete Kranke“ (und sezierte darin auch eine überempfindliche Gesellschaft, als „eine konservative Therapie im besten Sinne“ beurteilte das die „FAZ“). Zu den Höhepunkten seiner Kölner Intendanz zählt die Uraufführung von Daniel Kehlmanns "Tyll" 2018, ein knapp vierstündiger, von der Kritik bejubelter Abend.
Gerüchteweise genannt wurde er schon, als es 2019 um einen neuen Intendanten für das Wiener Volkstheater ging. Damals hieß es, Bachmann wolle das Schauspiel Köln verlassen – nachdem seinem designierten Nachfolger, Carl Philip von Maldeghem (derzeit Chef des Landestheaters Salzburg), aber eine prominent angeführte Protestwelle entgegenschlug, brachte sich Bachmann doch für eine Verlängerung ins Spiel.
Dass zuvor über Mobbing-Vorwürfe gegen Bachmann und seine Frau, die Schauspielerin Melanie Kretschmann, berichtet worden war – Ensemble-Mitglieder warfen Bachmann vor, demütigendes Verhalten seiner Frau zu decken, von einer „Angstblase“ war die Rede, Bachmann wies die Vorwürfe zurück, auch einige Mitarbeiter sprangen ihm zur Seite –, war ihm nicht im Weg: Sein Vertrag wurde erst bis 2023, später bis 2026 verlängert.
„Das war schmerzhaft“, sagte er nun rückblickend auf die Zeit der Vorwürfe. Seine Verlängerung sah er als Beleg dafür, dass sich die Situation beruhigt hatte. Für ihn sei es „ein Lernprozess“ gewesen. Diese Einschätzung habe auch Staatssekretärin Andrea Mayer überzeugt, dass unter Stefan Bachmann am Burgtheater nicht jene toxische Atmosphäre herrschen könnte, die unter Martin Kušej zum Teil beklagt wurde: Bachmann sei für sie „ein lernender Burgtheater-Direktor, der zuhören und mit sich selbst kritisch ins Gericht gehen kann“. Seine Fähigkeit zur Selbstreflexion und Selbstkritik habe - neben seiner Teamfähigkeit - auch den Ausschlag gegeben, ihn aus dem Zweiervorschlag letztendlich auszuwählen.
Lange Stationen in Basel und Köln
Der gebürtige Schweizer (Jahrgang 1966) hatte in Zürich Germanistik und Literaturwissenschaft studiert, nebenbei als Journalist gearbeitet. Danach zog er nach Berlin, wo er nicht nur weiter studierte, sondern auch seine Theaterkarriere begann – etwa mit einer Hospitanz bei Luc Bondy an der Schaubühne Berlin. Nach ersten Schritten in der freien Theaterszene folgten bald Regie-Aufträge an bekannten Bühnen von Bonn bis Hamburg. 1996 wurde er zum Nachwuchsregisseur des Jahres gewählt, 1998, mit 32 Jahren, wurde er Schauspieldirektor am Theater Basel, wo er bis 2003 blieb.
Es folgte eine Zeit, in der er als freier Regisseur tätig war – an Theatern, aber auch im Opernfach. Regelmäßig inszenierte er auch in Wien: 2005 etwa Raimunds „Der Verschwender“ am Burgtheater, 2007 Wajdi Mouawads „Verbrennungen“ am Akademietheater – wofür er einen Nestroy als bester Regisseur gewann. Am Akademietheater inszenierte er unter anderem auch 2010 die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ und 2012 Elfriede Jelineks „Winterreise“ - was erneut mit einem Nestroy prämiert wurde. Seine letzte Wiener Produktion war "jedermann (stirbt)" von Ferdinand Schmalz im Jahr 2018 – als „großartig“ beurteilte die „Presse“ seine Regie, „mit erfreulichem Ernst und einer Prise Humor“ habe Bachmann es geschafft, „Hofmannsthals Pathos ein wenig beiseitezurücken und einen neuen, frischeren Ton anzuschlagen“.
Mit Ausnahmesituationen vertraut
Erfolgreich war er auch anderswo, insgesamt fünf Mal wurden seine Produktionen zum renommierten Berliner Theatertreffen eingeladen. 2013 übernahm er schließlich die Leitung in Köln, als Nachfolger von Karin Beier (die im Übrigen auch schon fälschlicherweise als mögliche Burgtheater-Chefin ins Spiel gebracht wurde). Mit Jugendförderung und Avantgardepflege war er dort erfolgreich, während die Konditionen seiner Intendanz nicht die einfachsten waren. Nicht nur wegen Corona: Wegen einer langen Sanierung konnte er das denkmalgeschützte Schauspielhaus am Offenbachplatz nie bespielen, sondern nur in Ausweichquartieren arbeiten.
Dabei habe sich sein Blick aufs Theater verändert, sagte er: Er habe sich sein Theater selbst suchen müssen, habe in einem stillgelegten Industriegelände in einem Brennpunktgebiet von Köln eine Spielstätte aufgebaut, in der er nicht nur Klassiker spielen ließ, sondern auch Projekte mit Menschen aus der Nachbarschaft verwirklichte. „Theater fand auf Straßenniveau statt“, erzählte er stolz, das Publikum sei jünger und diverser geworden. Nun kämpft er darum, dass der neu etablierte Kulturort in Köln auch erhalten bleibt, wenn das eigentliche Haupthaus fertig saniert sein wird.
„Werde mich klonen"
Die Wiedereröffnung wird er wohl nicht mehr als Intendant erleben: Mit Herbst 2024 übernimmt er das Wiener Burgtheater, die Zeit bis dahin wird er für die Vorbereitung brauchen. Allzu großzügig bemessen ist sie nicht: „Ich finde das sportlich“, sagte er. Nebenbei wird er bis zum Ende der Saison 2023/24 weiter in Köln Direktor sein. Auf eine „Pendelei“ stellt er sich ein: „Ich nehme an, dass ich mich klonen werde."
Andrea Mayer dankt Martin Kušej
Martin Kušej, der bis dahin seinen Vertrag erfüllen wird, sprach die Staatssekretärin Dank und Anerkennung aus. „Martin Kušej hatte es nicht leicht“, meinte sie. Sein Abschied sei von ihr noch nicht festgelegt gewesen, als sie den Posten ausschreiben ließ. Der Prozess sei „ergebnisoffen" gewesen - und Stefan Bachmann habe „herausragend überzeugt“.