Ich plane einen Horrorfilm aus Haifischsicht zu drehen, mit dem Titel „Der weiße Mensch“.
Zu Weihnachten werde ich Goldbrassen kaufen. Ich kenn’ da einen Stand am Yppenplatz. Als Fischesser hab’ ich zwar manchmal ein schlechtes Gewissen und beschränke mich auf heimische Forellen, aber Brassen kann ich schwer auslassen. Ganz im Gegensatz zur Haifischflossensuppe in chinesischen Lokalen. Sie steht zum Glück nur mehr in den seltensten Fällen auf der Speisekarte. Das mag an der Überfischung liegen. Allerdings liegt in Mittelmeerländern dort, wo Schwertfisch ausgewiesen wird, gelegentlich illegal gefischter Hai am Teller – das leer gefischte Mittelmeer gilt als riskantester Lebensraum für Knorpelfische.
Was für die meisten Fischarten zutrifft, trifft den Hai umso stärker: Im Lauf des letzten halben Jahrhunderts ist der Haibestand massiv geschrumpft, bis zu 70 Prozent betragen die Einbußen. Weltweit sind der Weißspitzen-Hochseehai, der Bogenstirn-Hammerhai und der Gro-
ße Hammerhai am stärksten vom Aussterben bedroht. Solang Bordkameras und Fanggrenzen in der Fischerei nicht verpflichtend werden, werden Haie im-mer wieder als Beifang getötet werden.
Dass Hai-Attacken auf Menschen zunehmen (im Jahr 2021 zählte man an die hundert), liegt auch oft an Überfischung – Haie weiten Jagdgebiete bis zur Küste aus, wenn in ihren Ursprungshabitaten keine Beute zu finden ist. Sie werden erst mit 30 geschlechtsreif, vulnerabel sind sie vor allem wegen ihres langsamen Generationszyklus. Nötig haben wir sie, weil sie nicht nur jagen, sondern auch Aas fressen, wodurch Krankheitsausbreitungen verhindert werden – und weil Haie mittelgroße Fische fressen, die ihrerseits, sich zu stark vermehrend, Schwärme kleinerer Fische ausrotten, und so weiter.
Seit ich gelesen habe, dass der große Tourismus-Schocker Haifisch im jährlichen Schnitt weltweit fünf Menschen tötet, die Menschen hingegen im jährlichen Schnitt 100 Millionen Haie (18 davon in EU-Gewässern) töten, plane ich, einen Horrorfilm aus Haifischsicht zu drehen, mit dem Titel „Der weiße Mensch“. Unter Wasser wird der garantiert ein Kassenschlager. Denn jeder Hai weiß: „Der Mensch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht.“
("Die Presse Schaufenster" vom 16.12.2022)