Der ökonomische Blick

Besonders beunruhigend: die "Inflationsungleichheit"

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SupermarktIMAGO/Martin Wagner
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Ärmere sind von einer höheren Inflationsrate betroffen. Diese Art der Ungleichheit hat besonders beunruhigende Konsequenzen und wird in der aktuellen Politik nur unzureichend berücksichtigt.

Die steigenden Preise machen fast allen Haushalten schwer zu schaffen. Aber die Auswirkungen auf das tägliche Leben sind sehr ungleich verteilt. Laut einer Auswertung der Arbeiterkammer Wien über einkommensabhängige Preissteigerungen lag im Oktober 2022 die Inflationsrate für das einkommensärmste Zehntel bei 12,5 Prozent, während sie für das höchste Dezil bei 10,9 Prozent steht. Diese „Inflationsungleichheit“, die besonders beunruhigende Konsequenzen für Ärmere hat, wird in der aktuellen Politik nur unzureichend berücksichtigt.

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Ungleiche Inflationsbelastung

Menschen mit weniger Einkommen konsumieren andere Güter als die Mittelschicht oder die Reichsten. Wenn jetzt die unterschiedlichen Preise nicht im Gleichtakt steigen, führt das zu unterschiedlichen, einkommensabhängigen Preisbelastungen.

Im Frühjahr 2022 schossen zum Beispiel die Preise für Haushaltsenergie und Treibstoffe in die Höhe. Während für arme Haushalte Heizkosten einen besonders großen Teil der Ausgaben ausmacht, legen reiche Haushalte mehr für Tankfüllungen auf den Tisch. Das wird jetzt relevant, weil die Benzinpreise seitdem wieder gesunken sind (diese lagen im Jänner 2022 – vor Kriegsausbruch - bei 1,46 Euro, im Juli bei 2,09 Euro und im Dezember wiederum bei 1,69 Euro, jene für Strom und Gas jedoch nicht.

Das Poverty Center an der Columbia University in New York geht davon aus, dass Inflationsungleichheit zu einer Unterschätzung von Armut und Einkommensungleichheit führt. In den USA steigt die Zahl der manifest Armen um 3,2 Millionen, wenn die Berechnung inflationsangepasst wird. Das gilt auch für Österreich: Laut Armutskonferenz hat bereits die moderate Inflation 2021 den Anteil von Haushalten, die sich unerwartete Ausgaben nicht leisten können, von 18 auf 28 Prozent erhöht.

Wer mehr Einkommen oder Vermögen hat, kann die Inflationsbelastung einfacher abfedern. Menschen die mehr verdienen, können ihren Lebensstandard halten indem sie weniger sparen. Das geht aber nur, wenn am Ende des Monats etwas übrigbleibt – ein Drittel der Menschen in Österreich hat aber sogar negative Sparquoten. Für sie gehen die Preissteigerungen direkt an die Substanz.

So sind auch die Möglichkeiten mit der Inflation umzugehen ungleich verteilt. Ärmere Haushalte sind heute stärker von der Inflation betroffen und haben weniger Spielraum ihren Lebensstandard zu halten.

Inflation schafft neue Ungleichheiten

Über ungleiche Preissteigerungen hinaus erforschen Ökonom:innen die Folgen von hoher Inflation auf die Verteilung des Wohlstands. Tatsächlich steigt mit den Preisen auch die Ungleichheit von Vermögen.

Inflation bedeutet einen Wertverlust von Geld im Vergleich zu anderen Vermögensarten. Geldentwertung vergrößert die Ungleichheit zwischen Menschen, die vor allem Barvermögen halten, gegenüber jenen, die Immobilien oder Unternehmen besitzen. Weil Portfolios mit Zinshäusern und Beteiligungsgesellschaften am oberen Ende der Vermögensverteilung angesiedelt sind, lässt dies die Schere zwischen Mittelschicht und Reichen weiter auseinandergehen.

Zudem bewirkt Inflation Ungleichheit zwischen verschiedenen Gruppen von Arbeiter:innen. Der International Währungsfonds zeigte Ende der 1990er-Jahre in einer breiten Studie, dass hohe Inflation für sich genommen die Einkommensungleichheit anheizt:

In durchgehenden Beschäftigungsverhältnissen werden die Löhne in der Regel an die Inflation angepasst (wenn auch nicht automatisch und erst im Nachhinein). Für Verdienste aus atypischer oder scheinselbstständiger Beschäftigung ist dies jedoch nur seltener der Fall.  So vergrößert sich in Zeiten von Inflation auch diese Dimension der Ungleichheit. Der Rechnungshof zeigt im Allgemeinen Einkommensbericht 2020 für Österreich, dass die Einkommen von durchgängig Beschäftigten um jährlich drei Prozent schneller wachsen als im Durchschnitt.

Politische Herausforderungen

Die Inflation wird 2023 hoch bleiben, davon gehen die Prognosen von WIFO, IHS und Europäischer Kommission einhellig aus. Gleichzeitig rechnen Wirtschaftsforscher*innen mit Stagnation und sogar Rezession im Industriebereich. Die anhaltende Inflation kann die Ungleichheiten bei Vermögen und Einkommen verschärfen. Die Vermögensungleichheit ist in Österreich schon jetzt weit höher als im EU-Durchschnitt.

Um die Verschärfungen der Einkommens- und Vermögensungleichheiten durch die Inflation einzuschränken, würden sehr weitreichende Änderungen nötig werden, die jedoch nicht schnell umsetzbar sind. Eine Neuregulierung von prekärer Arbeit sowie eine Preisregulierung bei  Güter des täglichen Bedarfs sind nur zwei Beispiel, die hier genannt werden sollen.

Generell sollten Maßnahmen zur Milderung des Inflationsdruckes jedoch viel stärker als bisher vor allem Haushalte mit niedrigem Einkommen zu Gute kommen. Derartige Anpassungen könnten und sollten sofort umsetzbar sein.

Patrick Mokre ist Gastforscher am WU Forschungsinstitut für ‚Ökonomie der Ungleichheit‘ INEQ. Er forscht zur politischen Ökonomie von Ungleichheit und Arbeitsmärkten.
Patrick Mokre ist Gastforscher am WU Forschungsinstitut für ‚Ökonomie der Ungleichheit‘ INEQ. Er forscht zur politischen Ökonomie von Ungleichheit und Arbeitsmärkten.

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