Völlig wider Erwarten erwies sich Russlands Wirtschaft trotz Krieg und Sanktionen als sehr robust. Das liegt nicht nur am Öl- und Gaspreis. Es liegt paradoxerweise an zwei Gruppen von Menschen, die kaum bekannt und eigentlich gegen den Krieg sind.
Es gehört zur guten Tradition, dass die Russen am Ende eines Jahres noch einmal so richtig auf den Putz hauen und keine Ausgaben scheuen. Zu wichtig sind ihnen die Feiertage, die mit dem Weihnachtsbaum, Geschenken – und seit vielen Jahren auch mit teuren Restaurantbesuchen – am 31. Dezember beginnen. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch dieses Jahr eifrig Tische gebucht werden. Verwunderlich ist nur, dass die Nachfrage nach ihnen in Moskau plötzlich sogar höher ist als im vergangenen Jahr, sodass im Premiumsegment bereits zur Monatsmitte alles ausgebucht war und in den anderen Segmenten zu 70 bis 90 Prozent, wie die Daten der Moskauer Branchenagentur „Appetitmarketing“ zeigen. Kann das ins Bild eines Landes passen, das sich in einer Wirtschaftskrise, einem Krieg und unter westlichen Sanktionen befindet?
Die ganze Surrealität und Absurdität dieses Krieges bestehe ja gerade auch darin, dass er im Moskauer Alltag zumindest wirtschaftlich nicht spür- und bemerkbar sei, formulierte es kürzlich ein Moskauer Kleinunternehmer, der nicht namentlich genannt werden möchte, im Gespräch mit der „Presse“. Ja, insgesamt würden die Leute statistisch weniger ausgeben. Der Immobilienmarkt sei zum Erliegen gekommen. Ab und an verschwinde auch irgendein Produkt aus den Regalen, werde knapp oder erscheine im neuen Design wie etwa neulich ein Liter Milch im Tetrapack quasi à la russe – ohne Aufschrift, einfach in grau-weißem Packpapier. Aber wer nicht gerade ein neues Auto brauche und dabei in Ermangelung westlicher Modelle wohl mit einem chinesischen vorlieb nehmen muss, der könnte sich durchaus der Illusion hingeben, das Land befinde sich nicht im Krieg.