Junge Forschung

Was haucht Molekülen Leben ein?

Anđela Šarić wechselte mit ihrem ganzen Team von London nach Klosterneuburg, um hier ihre Forschung voranzutreiben.
Anđela Šarić wechselte mit ihrem ganzen Team von London nach Klosterneuburg, um hier ihre Forschung voranzutreiben. Florens Kosicek
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Chemikerin Anđela Šarić baut virtuell die fundamentalsten Prozesse des Lebens nach. Die Evolution seit den ersten Mikroben lässt sich damit genauso beleuchten wie Krankheiten.

Als kleines Kind wollte ich Sängerin oder Ballerina werden, aber dazu hat mein Talent nicht gereicht. Dann hatte ich meinen ersten Chemieunterricht – und es kam mir vor wie Magie“, erinnert sich Anđela Šarić an ihre erste Berührung mit dem Fach, das ihr Leben bestimmen sollte. „Die Idee, dass man Atome einfach anders anordnen kann und dabei etwas völlig Neues schafft, hat mich fasziniert.“ Eine Idee, die sie nicht mehr loslässt: Die gebürtige Kroatin nahm schon während ihrer Schulzeit an zahlreichen Wettbewerben und Chemieolympiaden teil, studierte anschließend Chemie in Zagreb und absolvierte ihr Doktorat an der Columbia University in New York.

Es folgte ein Post-Doc an der University of Cambridge (GB), nur drei Jahre später leitete Šarić bereits ihre erste eigene Arbeitsgruppe am University College in London. Mit ihr entwickelte sie einen Forschungsansatz, der weit über die reine Chemie hinausgeht: Erkenntnisse und Methoden aus der Physik der weichen Materie vereint sie mit jenen der physikalischen Chemie und Biologie, um zu erkunden, was lebendige Zellen im Innersten zusammenhält.

Von Zellteilung bis HIV

„Um das Leben zu verstehen, muss man sich die Moleküle anschauen, aus denen es aufgebaut ist. Doch hier gibt es ein Problem: Mit Mikroskopen kann man schon sehr detaillierte Bilder machen, doch einzelne Moleküle kann man damit nicht bei der Arbeit beobachten. Man kennt zwar ihren atomaren Aufbau, aber wie genau sie sich in lebendigen Zellen verhalten, weiß man meist nicht. Diese Wissenslücke wollen wir füllen.“ Daher modelliert Šarić mit ihrem Team am Computer das, was man nicht direkt beobachten kann: wie sich die Moleküle einer lebenden Zelle verhalten, etwa während sie sich teilt. Ein hochkomplexer Vorgang, bei dem sich ein mit Flüssigkeit gefüllter Membransack so abschnürt, dass zwei identische neue Membransäcke entstehen. „Seit dem Ursprung des Lebens führen alle Organismen diesen Prozess durch, manche Teile davon sind noch immer bei allen gleich. Diese konservierten Mechanismen erforschen wir mit unseren Computersimulationen.“

Die Modelle lässt sie von Kollegen in Cambridge an evolutionär uralten Mikroben, sogenannten Archaeen, testen, um die virtuellen Vorhersagen mit der Realität abzugleichen. Doch auch auf menschliche Zellen könne man ihre Ergebnisse umlegen, erklärt die Wissenschaftlerin. „Für die Erforschung von Krankheiten, bei denen die Zellteilung betroffen ist, liefert unsere Arbeit wertvolle Erkenntnisse. Und diese Mechanismen sind auch für Transportvorgänge innerhalb der Zelle verantwortlich, das HI-Virus nutzt sie etwa, um die Zelle zu verlassen.“ Ihre Grundlagenforschung habe daher durchaus Anwendungspotenzial, so Šarić.

Seit Jänner dieses Jahres arbeitet die Chemikerin als Assistenzprofessorin am Institute for Science and Technology Austria (Ista) in Klosterneuburg. Mit ihrem gesamten Team ist sie dafür von London nach Wien gezogen – eine Entscheidung, die sie nicht bereut: „Das Ista ist ein großartiger Ort für diese Art von interdisziplinärer Forschung, die ich betreibe. Und in Wien zu leben ist wunderbar, auch meiner Gruppe gefällt es hier – vor allem wegen der Nähe zu den Bergen und der Natur rundherum.“ Ihrer Arbeit scheint der Umzug jedenfalls nicht geschadet zu haben, im September wurde ihr der mit 340.000 US-Dollar dotierte Vallee Scholars Award verliehen.

Geld, mit dem sie ihre Forschung weiter ausbauen will, denn ihre Ziele sind ambitioniert: „Was mich antreibt, ist die Frage, was aus toten Molekülen ein lebendiges Wesen macht. Das will ich herausfinden. Und dabei die traditionellen Grenzen zwischen den Wissenschaftsdisziplinen sprengen, denn die Natur lässt sich nicht streng in Physik, Chemie oder Biologie separieren.“ Durch den Wissenschaftsbetrieb, der mit vielen Reisen verbunden ist, habe sie eine Weile gebraucht, bis sie sich in Österreich wirklich zu Hause gefühlt hat. Doch spätestens seit ihr vierjähriger Sohn fließend Deutsch spricht und sich hier gut eingelebt hat, habe auch sie hier eine neue Heimat gefunden, erzählt Šarić, die ihr zweites Kind erwartet.

Zur Person

Anđela Šarić (37) ist seit 2022 Assistenzprofessorin am Institute of Science and Technology Austria in Klosterneuburg sowie seit 2016 außerordentliche Professorin am University College London (UCL). Auf ihr Doktorat an der Columbia University in New York folgte von 2013 bis 2016 ein Postdoktorat an der University of Cambridge, bevor sie am UCL ihre eigene Arbeitsgruppe gründete.

Alle Beiträge unter: www.diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2022)

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