Wie man unliebsame Geschenke stilvoll entsorgt

Peter Kufner
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Wer die hohe Kunst des Geschenke-Recyclings mühelos beherrschen will, muss sechs Stufen erklimmen.

Dass die Tradition der weihnachtlichen Bescherung in Zeiten von Überkonsum und Umweltkrise alles andere als zeitgemäß ist, ist keine neue Erkenntnis. Vermutlich wird jeder Leser dieser Zeilen schon einmal in der wenig erfreulichen Situation gewesen sein, zum Abschluss des feiertäglichen Zehnkampfs einen Berg unliebsamer Geschenke erklimmen zu müssen. Doch dieser Zustand muss keine Qual sein – vorausgesetzt, man gewöhnt sich seine alten Reflexe ab und trainiert sich eine gewisse sittliche Flexibilität im Umgang mit den Gaben unter dem Christbaum – sowie mit allen anderen Geschenken – an. Auf dem Weg zu mehr Gelassenheit möchte ich Sie mit einem Sechs-Punkte-Plan unterstützen, den ich auf Basis von eigenen Erfahrungen und extensiver Feldforschung erarbeitet habe.

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Am Beginn unserer Reise stehen zwei Erkenntnisse. Erstens: Ein Geschenk soll Freude bringen und keine psychische Belastung verursachen. Und zweitens: Einem geschenkten Gaul schaut man selbst dann nicht ins Maul, wenn es sich bei der besagten Schabracke um ein trojanisches Pferd – sprich ein unnützes Geschenk aus dem Vorjahr, das wie ein Bumerang an seinen Absender zurückkehrt – handelt. Kombiniert man beide Erkenntnisse, steht einem lässigen Umgang mit der lästigen Materie, die einem daheim die Schubladen und Regale verstopft und schon beim Anschauen Schuldgefühle auslöst, nichts mehr im Wege.

Wer die hohe Kunst des Geschenke-Recyclings mühelos beherrschen will, muss sechs Stufen erklimmen:

►  Stufe eins kostet kaum Überwindung und ist daher für Einsteiger sowie zartbesaitete Zeitgenossen besonders gut geeignet. Dabei wird ein erhaltenes Geschenk diskret wiederverwertet und an einen nichtsahnenden Dritten weitergereicht. Bei dieser Übung werden insgesamt drei Ziele erreicht: Man wird erstens ein unnützes Ding los, ohne zweitens den Beschenkten zu kränken, und hat drittens die persönliche Befriedigung, einen bescheidenen Beitrag im Kampf gegen den Kaufrausch geleistet zu haben.

► Stufe zwei gleicht der ersten Stufe – mit einer wichtigen Ausnahme: Während des Akts der Bescherung wird der Beschenkte nicht im Dunkeln gelassen, sondern darüber aufgeklärt, dass es sich bei dem Präsent um wiederverwertete Ware handelt. Im Vergleich zur Einsteigervariante wird hier ein zusätzlicher moralischer Mehrwert gewonnen: Man ist sowohl mit sich selbst als auch mit dem Beschenkten im Reinen und muss nichts verheimlichen.

► Darauf aufbauend wird bei Stufe drei ein unliebsames Geschenk sozusagen in Echtzeit recycelt und gleich nach dem Erhalt und Auspacken an einen anderen Teilnehmer der Weihnachtsfeier (oder eines anderen festlichen Anlasses) weitergereicht. Bei dieser Variante ist der zuvor erwähnte moralische Mehrwert insofern größer, als man mit offenen Karten spielt und alle Anwesenden einweiht. Außerdem wird daheim kein Stauraum für die Zwischenlagerung benötigt.

► Bei Stufe vier kommen Taktgefühl sowie Nonchalance ins Spiel: Das Geschenk wird wie bei Stufe drei sofort weitergereicht – allerdings ohne es ausgepackt zu haben. Damit signalisiert man einerseits eine gewisse Erhabenheit über das Materielle und bringt andererseits den Geber nicht in Verlegenheit, weil man aufgrund der hohen Durchlaufgeschwindigkeit gar kein Urteil über die Qualität des Geschenks – und damit indirekt über den Geschmack des Schenkers – fällen konnte.

► Bei Stufe fünf handelt es sich um den eingangs erwähnten Weihnachtsbumerang: Dabei gehen wir in die Offensive und retournieren ein erhaltenes Geschenk bei der ersten sich bietenden Gelegenheit. Bei dieser Variante wird zwar Platz für Zwischenlagerung benötigt, doch man schont unbeteiligte Dritte vor unerfreulichen Überraschungen und hat zudem die Satisfaktion einer Revanche sowie die Hoffnung darauf, dass der Verursacher der Unannehmlichkeit seine Lektion lernt und es künftig unterlässt, Mitmenschen mit unnützem und geschmacklosem Zeug zu traktieren. Eine Variation der Stufe fünf ist der sogenannte indirekte Bumerang, der nicht auf den Stifter selbst abzielt, sondern auf dessen Lebenspartnerin bzw. Partner. In beiden Fällen ist die Genugtuung, die man in jenem Moment hat, in dem der Beschenkte erkennt, dass er den soeben ausgepackten Gegenstand schon irgendwo gesehen hat, jeglichen Aufwand wert.

► Zu guter Letzt Stufe sechs, die allerdings eine Prise kaufmännisches Geschick erfordert: Das Geschenk wird nach Erhalt zum Händler gebracht und rückerstattet. Dabei erzielen wir die Satisfaktion des puren pekuniären Profits und erfüllen zugleich eine wichtige marktwirtschaftliche Funktion, indem wir sowohl dem Hersteller als auch dem Verkäufer signalisieren, dass die Ware an der Nachfrage vorbei produziert wurde. Außerdem tragen wir auf diese Weise zum sorgfältigeren gesamtwirtschaftlichen Umgang mit knappen Ressourcen bei.

Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: Bei den obigen Ausführungen handelt es sich nicht um einen strikten Fahrplan, der auf Punkt und Komma befolgt werden muss, sondern um eine niederschwellige Einladung zum kreativen Spiel mit weihnachtlichen Konventionen. Bei den sechs Vertiefungsstufen kann jeder dort einsteigen oder aufhören, wo er oder sie sich wohlfühlt. Als Warnung möchte ich allerdings hinzufügen, dass die Trennlinien zwischen den Modi nicht immer scharf sind. Anders ausgedrückt: Wer Geschenke recycelt, sollte genau wissen, was er tut, sonst kann ihm ein Malheur unterlaufen.

Genau wissen, was man tut

So hat eine betagte Verwandte von mir vorletztes Weihnachten einen aus der Türkei stammenden Freund der Familie mit einem türkischen Kaffeekocher bedacht – in der an sich logischen Annahme, er würde sich aufgrund seiner Herkunft über diese Gabe besonders freuen. Nur hat sie dabei leider übersehen, dass sie ebendiesen Kaffeekocher einige Jahre zuvor von ihm als Geschenk erhalten hat. So wurde aus dem harmlosen Geschenke-Recycling der Stufe eins ein unfreiwilliger Bumerang der Stufe fünf.

Der Autor:

Mark Dixon (* 1962) lebt in London und ist der Gründer der Mergers-&-Acquisitions-Beratungsunternehmen the1.com und ThinkingLinking.com. [ Beigestellt ]

Ich selbst war viele Jahre zufrieden damit, auf Stufen eins und zwei zu operieren – bis ich eines Tages von meinem Bruder Hugo mit einem italienischen Pastabesteck beschenkt wurde, das ich zu nichts gebrauchen konnte. Als ich die unsägliche Nudelzange in der Hand hielt, ereilte mich ein Geistesblitz: „Ich bin weder gebürtiger Italiener noch leidenschaftlicher Koch. Aber Barbara, die hier mit uns am Tisch sitzt, ist beides. Also reiche ich diese Gabe an sie weiter.“ Seit damals habe ich eine geradezu sportliche Leidenschaft für das Geschenke-Recycling entwickelt. Dieser Tage praktiziere ich bevorzugt die Vertiefungsstufen drei und vier – und habe in meinem Giftschrank einige besondere „Weihnachtsbumerangs“ für ausgewählte Zeitgenossen und -innen aufgehoben. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Aus dem Englischen übersetzt von Michael Laczynski aus der „Presse“.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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