Unterwegs

Vom Tiger zum Hasen

Ein frommer Wunsch mit den letzten Zeilen aus dem alten Jahr.

Man will ja niemandem den Spaß madig machen – hauptsächlich, weil's jetzt, bei gedruckter Zeitung, eh schon z'spät ist. Aber das Heranrücken der obligaten Silvester-Manöver mit Artillerie aus dem Baumarkt bereitet Unbehagen. Vielleicht wäre zur Abwechslung Zurückhaltung angebracht, besser noch Verzicht. Das ist keine woke message, das gebieten Anstand und Mitgefühl. Wenn ein paar Hundert Kilometer entfernt Raketen Tod und Zerstörung bringen, die Bevölkerung in Luftschutzkellern Zuflucht sucht, während das Land offenbar in die Zarenzeit gebombt werden soll, kann es keine Freude bereiten, Lunten zu entzünden.

Aber ohne Geballer wird's wohl nicht abgehen. Wenn sich der Dampf des chinesischen Schießpulvers verzogen hat, die hinterlassenen Feinstaubwolken aufgelöst sind (die Müllberge der verheizten Böller-Arsenale halten länger), bleibt der etwas sorgenvolle Blick aufs Jahr voraus. In China beispielsweise beginnt es erst am 22. Jänner (zweiter Neumond nach der Wintersonnenwende) mit dem Wechsel vom Jahr des Tigers (konfliktreich) aufs Jahr des Hasen (mit Glück etwas ruhiger). Ein großes Fest, verbunden mit Mega-Verkehrschaos, weil das ganze Land frei hat für eine Woche. Könnte spannend werden mit Hinblick auf die ausgesetzte Covid-Kontrolle und ihre Folgen für die Lieferketten, an denen die Produktion unserer Wohlstandsgüter hängt.

Nun ja: Angesichts sich auftürmender Menschheitsprobleme sind weder Panik noch Resignation gefragt, schon gar nicht Belehrung, sondern ist weiterhin geboten, zuallererst den eigenen Scheiß in Ordnung zu bringen oder zu halten. Was meist eh schon Lebensaufgabe ist.

timo.voelker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.01.2023)

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