Gastkommentar

Arbeit auf Augenhöhe ist eine echte Chance

In den Zeiten der Personalnot ist nicht nur die Politik gefragt, auch die Unternehmen müssen die nachhaltige Transformation vorantreiben. Wer das nicht begreift, wird übrig bleiben.

DIE AUTORIN

Lena Marie Glaser(geboren 1984) ist Autorin des Buchs „Arbeit auf Augenhöhe“ (Kremayr & Scheriau, 2022). Die studierte Juristin ist Arbeitsforscherin und Gründerin des Zukunftslabors Basically Innovative. Sie berät Wirtschaft und Politik und entwickelt derzeit gemeinsam mit ihrem Expertenteam eine Wissensplattform für neues Arbeiten.

Wo sind die Beschäftigten hin? Das fragen sich derzeit viele Arbeitgeber, die Fragezeichen sind groß. Sie suchen dringend Personal – und finden keines. Dazu zählen auch „Green Jobs“, also Arbeitsplätze, die es für die Klimawende so dringend benötigt. Beim Europäischen Forum Alpbach 2022 diskutierten wir als Expert:innen mit den betroffenen Branchen auf Einladung des Klimafonds des Bundes über Auswege aus dem Fachkräftemangel. Wir waren uns einig, eine Standardlösung für alle gibt es nicht. Nur eines ist sicher: Umdenken ist gefragt, und neue Wege sind notwendig.

Der Arbeitnehmermarkt

Die Digitalisierung verändert radikal, wie wir arbeiten, und die demografische Entwicklung führt dazu, dass mehr Menschen in Pension gehen als nachkommen. Aktuell lässt sich ein Machtwechsel beobachten: Der Arbeitgeber- wird zum Arbeitnehmermarkt. Beschäftigte wählen heute ganz gezielt aus, für wen sie arbeiten wollen, und unter welchen Bedingungen. Es sind vor allem junge, gut ausgebildete Frauen, die ihre Anforderungen klar vor Augen haben. Sie wollen Arbeit auf Augenhöhe. Sie wollen mitgestalten, fair bezahlt werden und im Einklang mit ihren Bedürfnissen arbeiten. Das fordern sie bereits im Bewerbungsgespräch. Wer mit Studierenden, Lehrlingen oder jungen Beschäftigten spricht, weiß, dass hier großes Potenzial schlummert. Wer Personal sucht, muss diese Realität ernst nehmen und attraktive Jobs schaffen.

Doch viele Arbeitgeber haben das leider nicht verstanden. Alte Paradigmen und Ängste vor Veränderungen hindern, neue Wege zu gehen. Es fehlen der Dialog und die Empathie. So sind Führungskräfte vom Forderungskatalog der jungen Beschäftigten überfordert: „Die sind so verwöhnt.“ „Sollen sie doch erst einmal etwas leisten.“ Doch das stimmt nicht. Bereits junge Menschen sind erschöpft und überfordert, haben Angst davor, ins Burn-out zu schlittern, und können von ihrem Job kaum leben. Sie wollen nicht mehr wie ihre Eltern schuften. So wurde das „Quiet Quitting“ zum Trendbegriff der letzten Monate.

„Innovationstheater“

Die steigende Unzufriedenheit lähmt aber alle, nicht nur die Jungen. Vielerorts herrscht das Motto „Das haben wir schon immer so gemacht!“. So trifft die Angst vor Macht- und Kontrollverlust in den Führungsebenen auf ein „Innovationstheater“: Von oben diktiert kommen ständig neue Vorgaben dazu, Reformen werden auf Reformen gestapelt. Globale Beratungskonzerne sollen das Problem lösen. Doch nachhaltig ist das nicht, wenn Mitarbeiter:innen in Entscheidungen, die sie direkt betreffen, nicht eingebunden werden. Das verstärkt die Unzufriedenheit. Während und nach der Pandemie haben daher sehr viele ihre Jobs an den Nagel gehängt.

Anstatt echter Veränderung wird auf Employer Branding gesetzt. Große Werbebudgets für knackige Jobinserate oder bunte Social-Media-Videos werden investiert. Doch die junge Zielgruppe hat den „Bullshit-Sensor“ und kündigt, wenn das Versprochene nicht eingelöst wird. Das investierte Geld für diese Werbung ist schnell verpufft. Menschen im Betrieb zu halten sieht anders aus. Klar ist aber, in diesem Halten liegt ein wesentlicher Schlüssel in Zeiten der Personalnot.

Der Blick über den Tellerrand zeigt, wie Arbeit auf Augenhöhe in der Praxis aussieht. In der dänischen Arbeitswelt sind Work-Life-Balance und Zeit für die Familie wichtig. Anstatt mit Kontrolle führen die Führungskräfte mit Vertrauen und Freiräumen. In Deutschland lud im November 2022 der Bundesminister für Arbeit zum Dialog. Er fragte die Bürger:innen: „Wie wollt ihr arbeiten? Was erwartet ihr von Arbeitgebern und Politik für eure Zukunft der Arbeit?“ Diese internationalen Beispiele zeigen eines klar: Ein starker Wirtschaftsstandort, Innovation und gute Arbeit schließen sich nicht aus, sie bedingen sich. Auch die UN Sustainable Development Goals (SDGs) erhöhen den Druck, Nachhaltigkeit ernst zu nehmen. Dazu zählt es, gute Arbeit zu ermöglichen.

Es fehlt der Überblick

Neben den großen politischen Lösungen sind die Unternehmen selbst gefragt, die nachhaltige Transformation voranzutreiben. Optimistisch macht, dass immer mehr Verantwortliche verstehen, dass sie handeln müssen, um Personal zu gewinnen und zu halten. Allerdings wissen sie oft nicht, wie. Es fehlt der Überblick, was machbar ist. Obwohl Vorreiterbetriebe viel mit neuen Arbeitsweisen experimentieren und in der Pandemie ein breiter, öffentlicher Diskurs über die Zukunft der Arbeit erblüht ist. Die Anzahl an Kongressen und Berichten (insbesondere über die Vier-Tage-Woche) wächst kontinuierlich. Doch die Wissensflut aus Empfehlungen und Informationen ist überbordend, die Orientierung fehlt, und die Führungsebenen sind überfordert, vor allem in den KMU. Daher ist ehestmöglich eine qualitätsgesicherte Wissensplattform als erste Anlaufstelle zu schaffen, die schnell und konkret hilft.

Das neue Jahr 2023 bietet die Chance, dem „Fachkräftemangel“ mit Mut und Blick in die Zukunft zu begegnen. Ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel ist gefragt. Arbeit auf Augenhöhe ist eine echte Chance. Wer das nicht begreift, wird übrig bleiben.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2023)

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