Der ökonomische Blick

Sind wir süchtig nach digitalen Medien?

Snow in Strasbourg
Snow in StrasbourgREUTERS
  • Drucken
  • Kommentieren

Studien legen nahe: Im Umgang mit Youtube, Facebook, Instagram und Co. mangelt es uns an Selbstkontrolle. Die Forschung zeigt aber auch: Schlechte Gewohnheiten kann man ändern.

Digitale Medien sind heutzutage allgegenwärtig. Insbesondere Smartphones bestimmen zunehmend unseren Alltag: Sei es der aktuelle Wetterbericht, der Weg zum Restaurant oder das Neuste aus dem Freundeskreis – ein Blick auf das Smartphone hilft. So nutzten laut Deloittes Globale Mobile Consumer Survey durchschnittliche Amerikaner:innen im Jahr 2018 das Smartphone etwa 52 mal am Tag. Im Umkehrschluss muss das dann wohl bedeuten, dass digitale Medien unser alltägliches Leben extrem bereichern. Ansonsten würden wir nicht derart viel Zeit an unseren Smartphones verbringen. Richtig?

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Ab sofort liefert auch die seit 2019 in Wien ansässige CEU ("Central European University") Beiträge zum Blog. 

Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der „Presse"-Redaktion entsprechen.

>>> Alle bisherigen Beiträge

Nicht unbedingt: Die meisten von uns kennen sicherlich das teils bedrückende Gefühl den Tag am Smartphone vergeudet zu haben. Aus „kurz mal meine Emails checken“ wird leicht ein stundenlanges, oft sinnloses „browsen“ sozialer Medien. Eine Umfrage unter amerikanischen Nutzer:innen sozialer Medien verdeutlicht diesen Punkt: Sie würden gerne weniger Zeit mit ihren Smartphones und in den sozialen Medien verbringen; ganz ähnlich wie sie gerne mehr sparen oder gesünder essen würden (siehe Abbildung 1). Aber warum tun sie es dann nicht?

Eine aktuelle Studie von Hunt Allcott, Matthew Gentzkow und Lena Song legt nahe, dass digitale Medien – ähnlich wie Zigaretten oder Glücksspiele – süchtig machen. Und gerade weil digitale Medien das Potential haben süchtig zu machen, nutzen wir sie möglicherweise zu viel.

Der Suchtfaktor digitaler Medien kommt in zwei Beobachtungen zum Ausdruck. Zum einen führt die Nutzung digitaler Medien zur Bildung neuer Gewohnheiten. Ich zum Beispiel starte mittlerweile jeden Tag – selbst am Wochenende – mit einem Blick auf meine Emails. Ob das gesund ist? Vermutlich nicht. Denn hinzu kommt, dass es uns Nutzer:innen an Selbstkontrolle im Umgang mit digitalen Medien zu mangeln scheint. Auch ich würde in Zukunft gerne weniger Zeit mit digitalen Medien verbringen. Aber das ist leichter gesagt als getan. So kommen Allcott und Ko-Autor:innen zu dem Schluss, dass etwa ein Drittel der Zeit, die wir mit sozialen Medien verbringen, auf mangelnde Selbstkontrolle zurückgeführt werden kann.

Allcott, Gentzkow und Song analysieren dazu den Konsum digitaler Medien in einer Gruppe von 2000 amerikanischen Nutzer:innen von Facebook und Instagram. Sie installierten eine App auf ihren Smartphones, welche über einen Zeitraum von vier Monaten (von März bis Juli 2020) die Nutzung ausgewählter Dienste wie Facebook, Instagram, Twitter, YouTube etc. (kurz FITSBY) aufzeichnete. Im Abstand von jeweils drei Wochen nahmen die Teilnehmer:innen außerdem an vier Umfragen teil, in denen sie unter anderem ihre zukünftige FITSBY Nutzung vorhersagten. Letzteres erlaubt es festzustellen, ob sich die Nutzer:innen einem potentiellen Mangel an Selbstkontrolle bewusst sind.

Um Rückschlüsse auf das Suchtpotential digitaler Medien ziehen zu können, wurden die Teilnehmer:innen zufällig in verschiedene Gruppen eingeteilt. Eine erste Gruppe erhielt drei Wochen lang (Periode 3 in Abbildung 2) einen Bonus von etwa 2.50 Dollar pro Stunde als Anreiz ihre FITSBY Nutzung zu reduzieren. Eine zweite Gruppe erhielt 12 Wochen lang (Perioden 2 bis 5) die Möglichkeit ihre zukünftige FITSBY Nutzung zeitlich zu beschränken. Erreichten die Teilnehmer:innen das gesetzte „Tageslimit“ für eine App, schloss sich diese automatisch. Eine Kontrollgruppe erhielt weder einen Bonus noch die Möglichkeit sich Tageslimits zu setzen.

Sowohl der Bonus als auch die Möglichkeit sich Zeitbeschränkungen aufzuerlegen führten zu einer Reduktion der FITSBY Nutzung im Vergleich zur Kontrollgruppe (siehe Abbildung 2). Obwohl nur temporär gültig, hatte der Bonus einen dauerhaften, wenn auch abnehmenden Effekt. Selbst nach Ablauf des Bonus (in den Perioden 4 und 5) war die durchschnittliche FITSBY Nutzung deutlich niedriger als in der Kontrollgruppe (19 bzw. 12 Minuten pro Tag). Und fast 80% der Teilnehmer:innen setzten sich tatsächlich bindende Tageslimits, was eine Reduktion der FITSBY Nutzung von im Schnitt etwa 22 Minuten pro Tag zur Folge hatte.

Bildung von Gewohnheiten

Der dauerhafte Effekt des Bonus legt nahe, dass die Nutzung digitaler Medien zur Bildung von Gewohnheiten beiträgt. Reduziert man die Nutzung digitaler Medien über einen gewissen Zeitraum gehen diese Gewohnheiten verloren, was wiederum die zukünftige Nutzung digitaler Medien reduziert. Die Teilnehmer:innen sind sich dieses Suchtpotentials digitaler Medien bewusst; sie sagen den Effekt des Bonus auf ihr zukünftiges Nutzungsverhalten korrekt vorher. Des Weiteren deuten die Ergebnisse auf einen Mangel an Selbstkontrolle im Umgang mit digitalen Medien hin. Andernfalls würden die Teilnehmer:innen ihre tägliche Nutzungszeit nicht im Voraus beschränken. Die Umfragen in der Kontrollgruppe zeigen allerdings auch, dass die Teilnehmer:innen das Ausmaß ihrer Selbstkontrollprobleme unterschätzen: Im Schnitt unterschätzen sie ihre zukünftige FITSBY Nutzung um etwa 6.1 Minuten pro Tag. Die Autor:innen schätzen, dass Selbstkontrollprobleme alleine etwa 31 Prozent der Nutzung sozialer Medien erklären können. 

Natürlich müssen diese Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden. Es handelt sich um eine kleine, nicht-repräsentative Stichprobe. Zudem hat die einsetzende Covid-Pandemie im Frühjahr 2020 den Konsum digitaler Medien sicherlich beeinflusst. Nichtsdestotrotz legen die Ergebnisse nahe, dass wir unseren Umgang mit digitalen Medien durchaus kritisch hinterfragen sollten.

Der Autor:

Mats Köster ist ein Assistenzprofessor für Volkswirtschaftslehre (insb. Verhaltensökonomie) an der Central European University. Er erforscht den Einfluss begrenzter Aufmerksamkeit auf Konsumverhalten und entsprechende Implikationen für die Funktionsweise von Märkten.

Mats Köster
Mats KösterBeigestellt

Literatur:

Allcott, Hunt, Matthew Gentzkow, and Lena Song (2022). Digital Addiction. American Economic Review, 112 (7), 2424-63. doi: 10.1257/aer.20210867.

Deloitte (2018). 2018 Global Mobile Consumer Survey: US Edition. London: Deloitte. https://www2.deloitte.com/tr/en/pages/technology-media-and-telecommunications/articles/global-mobile-consumer-survey-us-edition.html

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Der ökonomische Blick

Österreichs Kampf gegen die Inflation ist teuer, klimaschädlich und nicht treffsicher

Österreich befindet sich bei Ausgaben gegen die Inflation im Vergleich von 29 europäischen Ländern an fünfter Stelle. Zu einem großen Teil sind die Maßnahmen jedoch kontraproduktiv für die Klimaziele und nicht treffsicher. Wie das in Zukunft verhindert werden könnte.
Der ökonomische Blick

(Was) verlieren Arbeitnehmer, wenn sie ein paar Monate lang nicht arbeiten gehen?

In unserer jüngsten Studie untersuchen wir die Folgen einer vorübergehenden Abwesenheit vom Arbeitsplatz auf die langfristige Lohnentwicklung ungarischer Arbeitnehmer:innen. Und kamen zu zwei wesentlichen Ergebnissen.
Der ökonomische Blick

Wie der Mietpreisdeckel in der Bevölkerung gesehen wird

Unter Ökonomen besteht ein hoher Konsens darüber, dass die aktuell intensiv diskutierten Mietregulierungen ineffizient sind. Doch welche Effekte dieser Maßnahme sind für die Bevölkerung wichtig und für die hohe Unterstützung in der Öffentlichkeit ausschlaggebend?
Der ökonomische Blick

Wie die Corona-Pandemie Österreichs Immobilienmarkt beeinflusst hat

Wie haben sich Lockdowns, Ausgangsbeschränkungen und Veränderungen in den Arbeitsbedingungen auf den österreichischen Immobilienmarkt ausgewirkt? Eine Bilanz.
Der ökonomische Blick

Sprache und Integration: Die langfristigen Wirkungen der Schulpolitik

Programme für neu eingetroffene Flüchtlinge und Migranten gelten als besonders erfolgreich, wenn sie einen starken Schwerpunkt auf Sprachtraining setzen. Eine empirische Studie aus den USA legt nun nahe, dass die erzwungene Sprachwahl an der Schule nach hinten losgehen kann.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.