Wort der Woche

Das Comeback der Kohle

Entgegen allen Beteuerungen in Weltklimaabkommen feiert Kohle derzeit ein Comeback, und zwar nicht nur als Energieträger, sondern auch als Chemie-Rohstoff.

In den vergangenen Jahren hatte es noch so ausgesehen, als ob „peak coal“ (der Höhepunkt der Kohleförderung) schon überschritten sei. Doch nun zeigt sich, dass 2022 ein neuer Höchststand an CO2-Emissionen aus Kohle verzeichnet wurde – obwohl in den Weltklimaabkommen eigentlich ein Ausstieg aus der Kohle paktiert ist. Weltweit laufen rund 9000 Kohlekraftwerke, die zusammen 45 Prozent des energiebedingten CO2-Ausstoßes verursachen. China, Indien oder Indonesien, aber z. B. auch Südafrika, Polen oder Serbien können oder wollen nicht auf den billigen und im Inland reichlich vorhandenen Energieträger verzichten.

Der Ausstieg aus der Kohle ist indes noch aus einem zweiten Grund ein „großes ungelöstes Problem“, wie die Internationale Energieagentur (IEA) kürzlich meinte. Denn Kohle wird zusätzlich zur Energiegewinnung auch stofflich genutzt. Das betrifft etwa die Eisenerzeugung im Hochofen, aber auch – über den Zwischenschritt der Kohlevergasung zu Synthesegas (CO und H2) – die Herstellung wichtiger Chemikalien wie etwa Methanol, Ethylen, Essigsäure, Ammoniak oder Dimethylether.

An diesen „coal-based chemicals“ wird derzeit intensiv geforscht – wenig überraschend v. a. in China, aber auch in den USA und in Deutschland. Kohle – das sind bei hohen Drücken und Temperaturen fossilierte Überreste von Pflanzen – hat als Industrierohstoff eine lange Tradition, etwa für die Farbenherstellung. Die klassischen Prozesse sind aber problematisch: Sie verursachen sehr hohe Emissionen (CO2, Schwefel etc.) und benötigen viel Wasser (was doppelt schlimm ist, weil die größten Kohlevorkommen in trockenen Gebieten liegen).

Die aktuelle Forschung konzentriert sich zum einen auf umweltfreundliche Prozesse, bei denen das anfallende CO2 stofflich genutzt wird. Gearbeitet wird etwa am Einsatz von Solarenergie bei der Kohlevergasung oder von „grünem Wasserstoff“ bei Syntheseprozessen. Dazu werden auch bessere Katalysatoren benötigt – wie sie z. B. am deutschen Max-Planck-Institut für Kohlenforschung entwickelt werden. Zum anderen will man das komplexe Gemisch vernetzter aromatischer Kohlenwasserstoffe, das Kohle chemisch gesehen ist, auch direkt nutzen und zu zukunftsträchtigen Hightech-Materialien wie Graphen, Kohlefasern, Fullerenen oder Nanoröhrchen verarbeiten.

Vielleicht haben die Proponenten dieser Forschung ja recht, wenn sie meinen, dass man Kohle als Rohstoff nicht vorschnell abschreiben sollte.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2023)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.