Ex-ÖVP-Politiker: „Ohne Crash geschieht nichts“

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ExoeVPPolitiker bdquoOhne Crash geschieht(c) APA (BARBARA GINDL)
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Erst wenn SPÖ und ÖVP zusammen die absolute Mehrheit verlieren, werde es die nötigen Reformen geben, sagt Ex-ÖVP-Politiker Bernd Schilcher. Landtage findet er überflüssig.

Die Presse: Wann, wenn nicht jetzt, wäre der richtige Zeitpunkt für eine große Staats- und Verwaltungsreform? Die Regierung muss sich heuer nicht einmal vor Wahlen fürchten.

Bernd Schilcher: Es waren schon viele Zeitpunkte möglich, aber jetzt ist es hoch an der Zeit. Ausreden würden nun kaum greifen.

Was müsste man denn reformieren?

Eines darf man auf keinen Fall machen: In jedem Bereich der Verwaltung linear zu sparen, also etwa zu sagen, wir sparen in jedem Bereich zehn Prozent. Aber man muss vielmehr schauen, welche Aufgaben dringend sind und welche entbehrlich. Ich habe ja vor nicht allzu langer Zeit, unter Frau Riess-Passer, an einer Staats- und Verwaltungsreform teilgenommen. Und da sind wir draufgekommen, dass allein im Bundesbereich viele Aufgaben überholt sind, und haben dort kräftig gestrichen. Im Länderbereich war kein Zugriff möglich. Und damit war die Staats- und Verwaltungsreform damals nur eine halbe Sache.

Das Problem liegt also im Verhältnis zwischen Bund und Ländern?

Ja, es gibt hier einen wirklichen Kompetenzdschungel und ein Machtgefälle. Man müsste sich durchringen, zu sagen, künftig hat nur mehr der Bund eine Gesetzgebungskompetenz. Die Vollziehung soll hingegen in mittelbarer Bundesverwaltung, also durch die Länder erfolgen. Dann wäre vieles einfacher.

Brauchen wir dann überhaupt noch die Landtage?

Die sind als solche überflüssig. Ich war viele Jahre Klubobmann der ÖVP Steiermark, und wir haben immer verzweifelt nachdenken müssen, welche Landesthemen diskussionswürdig sind. Wir haben im Landtag zu 70 bis 75Prozent Bundesthemen diskutiert, in Ermangelung interessanter Landesmaterien. Die Landtage könnte man also ersatzlos streichen. Oder man könnte Landtagsabgeordnete mit anderen Aufgaben betrauen: also nicht mit der Legislative, sondern mit der Umsetzung der Bundesgesetze. Ähnlich wie es bei EU-Richtlinien einen Spielraum gibt, könnten auch Bundesgesetze einen gewissen Spielraum haben, der dann von den Landtagsabgeordneten auszufüllen ist.

Und wie wollen Sie die Länder dazu bringen, dass sie auf die Gesetzgebungskompetenz verzichten?

Der Schlüssel für eine Änderung liegt in den Satzungen von SPÖ und ÖVP: Die Länder haben bei der Wahl des Parteivorsitzenden und bei der Aufstellung der Kandidaten eine eindeutige Mehrheit. Die meisten Abgeordneten werden von den Ländern bestellt, nahezu jeder Minister wird in Wahrheit vom Landesparteiobmann auserwählt. Die ein bis zwei Minister, die wir von der steirischen ÖVP hatten, waren bei jeder Pimperlveranstaltung des Landesparteivorstandes dabei, weil die genau gewusst haben, wo der liebe Gott wohnt. Neben den Ländern ist auch die Gewerkschaft in beiden Parteien sehr stark, da ist es auch sehr schwer, durchzukommen.

Man muss also erst die Parteistrukturen ändern, bevor es zu einer großen Staats- und Verwaltungsreform kommen kann?

Ja. Wie man in Österreich Parteien ausgeliefert ist, das ist in der westlichen Welt ziemlich einmalig. Es ist nicht entscheidend, was der Wähler sagt, sondern was Landesparteichefs und starke Gewerkschafter wollen.

Das ist das Problem. Und wie lösen wir es nun?

Wir brauchen eine Erweckung, etwa durch eine Volksbegehrensbewegung, wie sie Claus Raidl machen möchte. So könnte man gemeinsam mit der nächsten verlorenen Wahl Druck ausüben. Ich gehe davon aus, dass SPÖ und ÖVP, wenn sie weiterhin nur die Windstille verwalten, beim nächsten Mal unter 50 Prozent sind. Das könnte Druck machen. Ich glaube, dass der politische Wille zur Veränderung steigt, wenn die beiden Parteien zwischendurch keine Mehrheit mehr haben.

Wie sollten die Abgeordneten der Parteien bestimmt werden, damit sich die Situation in den Parteien bessert?

Wie in vielen anderen Ländern braucht man ein personalisiertes Wahlrecht. Wenn ich weiß, ich werde in meinem Wahlkreis nicht gewählt, wenn ich dies oder das nicht mache, dann werde ich in der Partei aufbegehren. Und ich werde andere politische Entscheidungen erreichen, als wenn es nur um Macht innerhalb der Partei geht. Unsere Probleme würden in England oder Frankreich nie auftreten.

Was ist in Österreich schiefgelaufen, dass es überhaupt so weit gekommen ist?

Man hat nach 1945 die beiden großen Parteien als Rettung gesehen, und diese haben Jahrzehnte Zeit gehabt, ihre besonderen Strukturen zu entwickeln. So ist diese enge Verzahnung über Bünde, Gewerkschaften und Kammern entstanden. Und dann gibt es noch ein Problem: Leute, die früher gerne in die Politik gegangen wären, sagen jetzt, es interessiert mich nicht: Ich verdiene in der Politik weniger als in der Wirtschaft, ich gefährde durch die Samstags- und Sonntagsarbeit meine Ehe. Ich werde von irgendwelchen Journalisten angeschüttet – und weiß gar nicht, warum. Das alles fördert nicht die Freude an der Ausübung politischer Funktionen. Beim politischen Personal sind kaum Höhepunkte mehr da. Die große Mehrheit ist zahm und abhängig geworden.

Sie klingen, als würden Sie als ehemaliger ÖVP-Politiker dazu aufrufen, bei der nächsten Wahl die Opposition zu wählen.

Die Opposition ist leider auch von einer schwächelnden Art und bringt nichts weiter. Ich sehe bei Grünen und BZÖ keine Bewegung. Die FPÖ macht etwas, aber es ist eine ganz bestimmte Politik, um die Unzufriedenen zu sammeln. Auf diese Weise wird die FPÖ den nächsten Kanzler stellen, was auch nicht unbedingt wünschenswert ist. Daher sehe ich im Augenblick nur im Verlust der Mehrheit von SPÖ und ÖVP die Chance des Umdenkens.

Und erst nach so einem politischen Crash wird es eine Staats- und Verwaltungsreform geben?

Auch die verstaatlichte musste erst an die Wand gefahren werden, bevor sich etwas geändert hat. Ohne Crash scheint in Österreich nichts zu geschehen.

Zur Person

Der Jurist Bernd Schilcher (70), Professor für Bürgerliches Recht, war 16 Jahre lang ÖVP-Abgeordneter im steirischen Landtag. Von 1985 bis 1989 fungierte Schilcher als Klubobmann der Landes-Schwarzen. Bereits damals fiel Schilcher als Querdenker auf. Der Steirer war überdies Landesschulratspräsident und arbeitete an mehreren Expertengruppen zur Verwaltungsreform mit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2011)

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