Ökologe Franz Essl ist "Wissenschafter des Jahres"

APA/FLORIAN WIESER
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Der viel zitierte Experte ist ein Mahner in Umweltfragen. Artenschutz lasse sich mit einem "streichelweichen Umsetzungsplan" nicht vorantreiben, sagt er.

Der Ökologe und Biodiversitätsforscher Franz Essl ist "Wissenschafter des Jahres 2022". Wenige Tage vor seinem 50. Geburtstag hat er die Auszeichnung des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten für seine Vermittlungsarbeit entgegengenommen. Der Botaniker ist seit Jahren Stammgast in der Liste der meistzitierten Forscher weltweit und einer der prononciertesten Hinweisgeber des Landes in Sachen Artenschutz und Klimawandel.

Mit der seit 1994 jährlich durchgeführten Wahl will der
Journalistenklub vor allem das Bemühen von Forscherinnen und
Forschern auszeichnen, ihre Arbeit und ihr Fach einer breiten
Öffentlichkeit verständlich zu machen und damit das Bewusstsein für
die Bedeutung der heimischen Wissenschaft zu steigern. Während mit
der Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl (2020) und dem
Komplexitätsforscher Peter Klimek (2021) Persönlichkeiten aus der
Riege jener Forscher erfolgreich waren, die sich zuletzt stark um
das Management der Covid-19-Pandemie verdient gemacht haben, wird
heuer mit Essl ein Naturwissenschafter gewürdigt, der sich auch als
Mahner in Umweltfragen einen Namen gemacht hat.

Essl sieht die Auszeichnung als "sehr große Ehre" an, wie er erklärte. Er hofft, dass damit auch die Themen "Artenverlust, Biodiversitäts- und Klimakrise" noch mehr Aufmerksamkeit erfahren. Die Ehrung für "ein, vielleicht sogar DAS gesellschaftliche Zukunftsthema" zeige, "wie wichtig es ist, sich hier zu äußern" - auch abseits der Forschung im engeren Sinne. Der Bereich sollte jedenfalls medial künftig "deutlich mehr Raum
bekommen", betonte Essl.

Viel zitiert

Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit ist der Ökologe
jedenfalls Dauergast in den renommiertesten Fachjournalen, seit 2018
findet er sich alljährlich in der Liste der "Highly Cited
Researchers" des "Institute for Scientific Information" (ISI) der
Firma Clarivate. Der Forscher, der in den 1990er Jahren u.a. beim
kürzlich verstorbenen "Wissenschafter des Jahres 2012", dem Ökologen
Georg Grabherr, an der Universität Wien studiert hat, publiziert
regelmäßig zu den Themen "eingeschleppte Arten" (Neobiota), zur
schwindenden Artenvielfalt oder zum Einfluss des Klimawandels auf
die Biodiversität.

Unter anderem in seiner Funktion als Mitglied des
Österreichischen Biodiversitätsrates wurde Essl auch zu einem der
wichtigsten Kommentatoren und Kritiker der heimischen Umweltpolitik.
Das Aufzeigen und verständliche Darstellen von komplexen
wissenschaftlichen Zusammenhängen ist ihm schon seit geraumer Zeit
ein zentrales Anliegen. Intensiv mit dem Thema
Wissenschaftskommunikation hat er sich vor allem während seiner rund
15-jährigen Tätigkeit am Umweltbundesamt und davor drei Jahre beim
Umweltdachverband beschäftigt, wie Essl erklärte.

Seine Forschungsarbeit dreht sich vor allem darum, wie Menschen
die Welt verändern und welche Auswirkungen "das auf Arten und
Lebensräume, letztlich aber auch für uns als Gesellschaft" hat.
Diese Verwerfungen passieren innerhalb kurzer Zeit, was zum rapiden
Verschwinden von Arten und Lebensräumen führt. Man müsse sich daher
auch überlegen, was "wir als Gesellschaft von einer intakten Natur
bekommen und auch brauchen", so Essl.

Über den Schutz der Umwelt ist der gebürtige Linzer, der auf
einem Bauernhof in Oberösterreich aufgewachsen ist, zur Biologie
gekommen. Er nehme sich durchaus "teilweise als der Chronist
rasanter Veränderungen und in der heutigen Zeit rasanter Verluste"
wahr. Das sei "auch ein Anreiz oder vielleicht auch eine
Verpflichtung, das nicht nur wissenschaftlich zu untersuchen und
neutral zu begleiten, sondern darauf auch hinzuweisen".

Artenschutz

Das tut der Forscher durchaus prägnant: So pochte Essl anlässlich
der Einigung bei der UNO-Artenschutzkonferenz im kanadischen
Montreal Mitte Dezember auf die Umsetzung der kürzlich vorgelegten
österreichischen Biodiversitätsstrategie. Artenschutz lasse sich mit
einem "streichelweichen Umsetzungsplan" nicht vorantreiben.

Zuletzt hielt der Ökologe auch einen Vortrag im von
Klimaaktivisten der "Erde brennt!"-Bewegung besetzen Hörsaal C1 an
der Uni Wien: Es sei ihm wichtig zu zeigen, dass für viele der
Anliegen der stark studentisch geprägten Bewegung von der Ebene der
Professoren Unterstützung kommt.

Als Wissenschafter im Umweltbereich müsse man sich heutzutage
überlegen, ob und wie weit man in gesellschaftlichen Diskussionen
mitmischt. Die Vielfalt der Anforderungen habe sich "auf jeden Fall
stark verändert", wie auch das Selbstverständnis vieler Forscher an
Debatten aktiv teilzunehmen. All das unter einen Hut zu bringen, sei
"eine wahnsinnige Herausforderung", für die es mehr Unterstützung
seitens der Institutionen brauche. Exponiert man sich, "muss man
sich schon bewusst machen, dass man damit auch gewisse persönlichen
Risiken eingeht".

Aufseiten der Politik sieht Essl das Bewusstsein für die
tiefgreifenden Umweltveränderungen endlich breiter angekommen: "Die
stärksten Einflüsse kommen aber nicht unbedingt aus der
Wissenschaft." Er bleibe jedoch positiv, dass sich
"Beharrungskräfte" aufbrechen lassen und sich Wege aus der
"Übernutzung" der Umwelt und hin zu einer "massiven Transformationen
zu einer viel nachhaltigeren Gesellschaft" finden lassen.

Die kürzlich vorgestellte Biodiversitätsstrategie gebe hier klare
Handlungsanweisungen, etwa für mehr Schutzgebiete hierzulande. Am
Geld allein sollte es angesichts von rund sechs Milliarden Euro an
umwelt- und klimaschädlichen Förderungen in Österreich nicht
mangeln. Im Rahmen des Biodiversitätsrates fordert man daher "eine
Biodiversitätsmilliarde".

Essl vermisst ein "nationales Forschungsprogramm", das sich den
Themen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Klimaschutz, Artenverlust
oder den gesellschaftlichen Anpassungsnotwendigkeiten breit widmet.
Jeder Euro, der in solche Forschung investiert wird, rentiere sich
vielfach, so der Vater zweier Kinder, der auch passionierter
Skitourengeher, Kajakfahrer, Kletterer und Hobbygärtner ist.

(APA)

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