100 Rätsel der Kommunikation. Folge 20: Man könnte auch „Hallo“ sagen zu seinen Nachbarn. Auch am Sessellift.
Da sind einmal die einen. Die man nicht kennt, weil man sich schon lange keine Geschenkkörbe mehr vor die Tür stellt, wenn man irgendwo einzieht. Außer dieser anachronistische Vorgang wurde extra hinein geskriptet in eine amerikanische Suburb-TV-Serie. Diese Art von Nachbarn bleiben. Solange sie es wollen. Wenn sie nicht die Tauben füttern im Hof und deshalb delogiert werden. Dann gibt es noch die anderen Nachbarn: Neben denen man sitzt. Weil sonst kein Platz mehr frei war. Im Hörsaal zum Beispiel. Oder im Zug. Ein kurzes „Hallo“ kann da ein guter Anfang sein für ein nachbarschaftliches Verhältnis. Vielleicht muss man sich ja gleich noch einen Stift ausborgen. Oder ein Aufladekabel. Seit Jahren mach ich mir mit einem Trick die Barkeeper gefügig. Wenn ich in ein Lokal gehe, nicke ich ihnen zu. Die Armen können gar nicht anders, als reflexartig zurück zu nicken. Und schon stehen wir in Beziehung zueinander. Das hilft beim Bestellen nachher. Oder beim Diskutieren, wenn die Rechnung nicht stimmt. Man könnte es aber auch traditionell sehen natürlich: Wenn man wo reinkommt, wo andere schon sind, grüßt man. Ob es die anderen nun interessiert, dass man gekommen ist, oder auch nicht.
Neigungsgruppe Bergfahrt
Wissenschaftler in den USA haben einmal festgestellt, dass es von der Größe der Ortschaft abhängt, ob man sich grüßt, wenn man sich begegnet auf dem Gehsteig. Sind die Dörfer klein genug, dann darf mindestens genickt werden. Sogar in Österreich. Aber wahrscheinlich auch nur, weil die Möglichkeit bestünde, dass man sich noch einmal über den Weg läuft. Die Grundregel ist also: Grüße alle, von denen du in Zukunft eventuell noch etwas brauchen könntest. Das erklärt auch, warum man in der Wüste oder im Wald nicht einfach so aneinander vorbeigeht ohne einem „Grias Di“. Man kann immer jemanden brauchen, der einen aus dem Graben zieht.
Grüßen ist trotzdem riskant. Denn kaum begrüßt man jemanden, muss man sich später auch wieder verabschieden. Auch wenn man nur von Wien nach Salzburg im Zugabteil gemeinsam sitzt. Ah, das Problem wurde schon gelöst, sehe ich gerade: durch offene Waggons. Sessellifte sind auch offen. Nach oben vor allem. Aber sie funktionieren räumlich-interaktional wie früher die Zugabteile. Man teilt sich Raum und Zeit mit Menschen, die man nicht kennt. Einser-Sessellifte wurden abgeschafft. Wahrscheinlich von Menschen, die am liebsten den ganzen Tag in Meetings sitzen und danach am Abend zum Stammtisch fahren. Jetzt lässt man sich zu sechst den Berg hinauf ziehen. Und die meisten, die da ihre Ski baumeln lassen über den grünen Hängen, wissen gar nicht, dass sie zusammen ein paar Höhenmeter lang so etwas wie eine „Gruppe“ sind. Da könnte man schon grüßen. Doch am Sessellift kann ich nicken und soviel „Grias Di“ in die Runde schmeißen, wie ich will. Da kommt nix zurück. Wahrscheinlich, weil es sich für die meisten dann doch eher wie U-Bahn anfühlt. Oder man eh nicht früher aussteigen kann.
100 Rätsel der Kommunikation
Norbert Philipp bespricht in dieser Kolumne die dringendsten Fragen der digitalen und analogen Kommunikation: Muss man zu Chatbots höflich sein? Wie schreit und schweigt man eigentlich digital? Heißt „Sorry“ dasselbe wie „Es tut mir leid“?. Und warum verrät „Smoke on the Water“ als Klingelton, dass ich über 50 bin.