Wien: Tanz Burlesque, Baby

Wien Tanz Burlesque Baby
Wien Tanz Burlesque Baby(c) Clemens Fabry
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Filme wie "Burlesque" und "Tournée" zeigen auf der Leinwand, was längst in den Clubs und Wohnzimmern europäischer Metropolen angekommen ist. Auch in Wien hat sich mittlerweile eine aktive Burlesque-Szene etabliert, die dem retro-erotischen Tanz verfallen ist.

Auch wenn der Vorwurf abgedroschen klingen mag, muss er hier aufgegriffen werden: Wien ist wieder einmal spät dran. Sehr spät. Während der retro-erotische Tanzstil Burlesque in den Clubs und Salons von London, Berlin oder Amsterdam schon Anfang der 2000er-Jahre Einzug gehalten hat, beginnt die Donaumetropole gerade erst, auf sanfte Tuchfühlung mit dem salonfähigen Striptease zu gehen.

Dazu beigetragen hat auch die 28-jährige Wienerin Antonia Gruber. Die Veranstalterin organisiert seit Sommer den „Cirque Rouge“ in der Roten Bar im Volkstheater oder der Döblinger Residenz Zögernitz. Einen Burlesque-Abend mit wechselndem Motto, bei dem Tänzerinnen mit so süßen Künstlernamen wie Vicky Butterfly oder Monica di Montebello und Livebands wie die Wiener Herren von „Tanz, Baby“ auftreten. Der Dresscode lautet: Hauptsache Retro.

Spät dran ist im Grunde auch die Filmbranche. Dafür schlägt Burlesque auf der Leinwand nun mit doppelt bis dreifacher Wucht ein. Vor wenigen Tagen ist der gleichnamige Hollywood-Blockbuster mit Sängerin Christina Aguilera und Cher (siehe Interview Seite 40) in den Kinos angelaufen, der bei der Kritik grandios durchfiel. Bald folgt der in Cannes ausgezeichnete Film „Tournée“, bei dem Schauspieler Mathieu Amalric Regie führte und das Tourleben einer US-Burlesque-Gruppe zeigt. Und in den USA erfreut sich die Musical-Serie „Glee“ rund um einen Show-Chor an einer High School so großer Beliebtheit, dass der Sender Fox seit September die zweite Staffel ausstrahlt. Sogar der ORF hat in dieser Sache Weitblick und sich schon im Vorjahr die Rechte an der Serie gesichert.

Wenn sich die Unterhaltungsindustrie so massiv eines Themas annimmt, heißt das meist: Der Trend ist längst bei der Masse angekommen. Das ist bei Burlesque nicht anders. Seit dem Beginn der Neunzigerjahre hat „die große Schwester des Striptease“ durch prominente Vertreterinnen wie Dita von Teese einen Aufschwung erlebt. Der glamouröse Tanz entstand Mitte des 19. Jahrhunderts. Damals zeigten selbstbewusste Frauen Showeinlagen mit Elementen aus Comedy und Revue – die Erotik entstand durch den Grundsatz „weniger ist mehr“. Das ungeschriebene Burlesque-Gesetz bis heute: Das Höschen bleibt an, die Brustwarzen bleiben bedeckt. Noble Blässe ist in, Solariumbräune out.


Kleine Ich-AGs. Starke Frauen aus Österreich, London und Berlin sind es auch heute, die Antonia Gruber alias Tiga Lily für ihre „Cirque Rouge“-Nächte engagiert. „Das sind alles kleine Ich-AGs“, sagt sie. Kathrin Pfeiffer, die als La Veuve Noire auf der Bühne steht, ist so eine und Marla Blumenblatt, die sich so sehr als Künstlerin versteht, das sie ihren zivilen Namen nicht nennen will. Sie hat einige Jahre im Pariser Cabaret-Club „Crazy Horse“ gearbeitet und erinnert sich, dass Christina Aguilera einmal zu Besuch kam, um sich Anleihen für den eben angelaufenen Film zu holen. Ansehen will sich Blumenblatt den Hollywood-Film nicht: „Es würde alle Regeln brechen, wenn ich mir Aguilera im Kino ansehen würde, während sie eine ,Crazy Horse'-Nummer singt und dabei nur ein Prozent von dem leistet, was die Mädels dort geben.“ Gruber kann dem Film zumindest eine Sache abgewinnen: „Meine Mutter hat gesagt, ich muss jetzt wenigstens nicht mehr jedem erklären, was ich mache.“ Es gibt immer noch Menschen, die Burlesque mit Striptease oder Table Dance verwechseln.

Für die drei jungen Frauen ist Burlesque nicht bloß ein Tanzstil, sondern ein Lebensgefühl, dem sie sich auch abseits der Bühne verpflichtet fühlen. Dazu gehört die Hinwendung zu vergangenen Zeiten, ein bestimmter Kleidungsstil, der Schnitte aus den Twenties bis Sixties ins Heute umsetzt. Die US-Serie „Mad Men“ und Designerinnen wie die Österreicherin Lena Hoschek haben dazu beigetragen, dass die betont weiblichen Rundungen heute wieder modern sind. Und die Männer? Die tragen Hosenträger und Pomade im Haar. Burlesque lebt aber auch vom Make-up. Drei Dinge sind unerlässlich, sagt Kathrin Pfeiffer: „Die Wasserwelle, der Lidstrich und die roten Lippen.“ Fächer, Federboa und Strass-Hut kommen erst auf der Bühne dazu.

Seit kurzem lädt Gruber auch zu Workshops, in denen sie Frauen zwischen 19 und 40 den Tanz-, Kleidungs- und Schminkstil des Burlesque beibringt – und ein Mal im Monat zu einem weiteren Club im Market am Naschmarkt. Im „White Mink Hotel“ geht es in punkto Musik weniger klassisch zu. Während Ur-Burlesque zu Musik aus den 20- bis 40ern – von Jazz-Swing bis Rock'n'Roll – getanzt wird, hat sich eine moderne Spielart entwickelt, die auch als „New Burlesque“ bekannt ist. Dabei wird vor allem zu Electro-Swing getanzt, einer Musikrichtung, die sich gerade in England wachsender Beliebtheit erfreut.

Das Publikum ihrer Retro-Clubnächte sei zu 70 Prozent weiblich, sagt Gruber. „Ab und zu kommen Männer, die nicht verstehen, worum es bei uns geht, die gehen dann enttäuscht wieder.“ Sie glaubt zu wissen, warum der Tanzstil gerade modernen Frauen so gut gefällt: „Man nimmt sich nicht so ernst bei Burlesque – es geht nicht um perfekte Proportionen, sondern um Ausstrahlung und Witz.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2011)

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