Der ökonomische Blick

Strukturwandel in Österreich? Alles bleibt, wie es ist

Die Transformation zur Klimaneutralität wird ohne Änderungen in der Wirtschaftsstruktur nicht möglich sein.
Die Transformation zur Klimaneutralität wird ohne Änderungen in der Wirtschaftsstruktur nicht möglich sein. APA/ROLAND SCHLAGER
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Österreichs Wirtschaftsstruktur ändert sich nur mehr langsam. Für das Klima ist das keine gute Nachricht.

Nichts ist für immer und ewig. So ist das auch in der Wirtschaft, die sich durch Neugründungen, Fusionen, Insolvenzen und Schließungen ständig verändert. Diskussionen über diesen Strukturwandel konzentrierten sich in der Vergangenheit meistens auf Strukturschwächen und ihre Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum (Tichy 2016).

Heute ist die Frage vor dem Hintergrund des Klimawandels aktuell. Ein rascher Strukturwandel fördert den Einsatz neuer, umweltfreundlicher Technologien und hilft so, nachhaltiger zu werden. Damit entscheiden die Wirtschaftsstruktur und die Geschwindigkeit, mit der sie sich ändert, auch über den Erfolg von Umweltpolitik mit.

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Ab sofort liefert auch die seit 2019 in Wien ansässige CEU ("Central European University") Beiträge zum Blog. 

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Der Strukturwandel hat sich deutlich verlangsamt

Grund genug für einen neuen Blick auf den Strukturwandel in Österreich. Ich messe die Geschwindigkeit, mit der sich die Wirtschaftsstruktur verändert, durch die Summe der absoluten Änderungen der Anteile von 215 Branchen an der gesamten Wertschöpfung der österreichischen Wirtschaft (siehe Aiginger 2001). Damit werden sowohl Zuwächse durch wachsende Unternehmen als auch Rückgänge durch Wertschöpfungsverluste und Schließungen berücksichtigt.

Das Ergebnis (Abbildung 1 unten) fällt wenig erfreulich aus: der Strukturwandel hat seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 deutlich an Schwung verloren. Erst COVID-19 kehrte diesen Trend um; Grund dafür war allerdings nicht mehr unternehmerische Dynamik, sondern die Wirtschaftskrise. Ende des vorigen Jahrhunderts war Österreich noch eines jener Länder, in denen sich die Wirtschaftsstruktur am schnellsten veränderte (Aiginger 2001). Heute findet sich Österreich heute nur mehr unter den Nachzüglern in der EU (siehe Abbildung 2).

Abb 1: Geschwindigkeit des Strukturwandels in der österreichischen Wirtschaft, 2002-2020

Abb 2: Geschwindigkeit des Strukturwandels in europäischen Ländern, 2010-2019

Warum mehr Dynamik Österreich gut tut würde

Ist der langsame Strukturwandel ein Problem? Es sprechen zwei Argumente für mehr Dynamik: erstens erhöht der Strukturwandel die gesamt­wirtschaftliche Produktivität, indem produktivere Firmen weniger produktive Konkurrenten verdrängen. Das heutige Wirtschaftswachstum basiert auf der Strukturdynamik der Vergangenheit.

Zweitens wird die Transformation zur Klimaneutralität, die die österreichische Bundes­regierung bis 2040 erreichen will, ohne Änderungen in der Wirtschaftsstruktur nicht möglich sein. Erfolgreiche Klimaschutzpolitik hängt auch davon ab, ob sich neue, klimaschonende Technologien rasch verbreiten. Ein schneller Strukturwandel kann den Ersatz bestehender Technologien durch umweltfreundlichere Produktionsweisen unterstützen, denn neue Unternehmen setzen auf neue Technologien. Darüber hinaus verursachen Branchen mit höherer Technologieintensität auch weniger Emissionen und produktiveren Firmen fällt es leichter, Umweltschutzmaßnahmen zu finanzieren.

Die Politik versucht, den Wandel hin zur Klimaneutralität mit der gezielten Förderung von Umweltinnovationen und der Schaffung von geschützten Bereichen für diese Technologien zu unterstützen („strategic niche management“). Ein langsamer Strukturwandel verringert allerdings die Erfolgsaussichten dieses Ansatzes. Deshalb schlagen Kivimaa und Kern (2016) vor, die „schöpferische Zerstörung“ zu beschleunigen, um so neuen, umweltfreundlicheren Technologien und Unternehmen den Durchbruch am Markt zu erleichtern.

Wie kann die Politik den Strukturwandel wieder beschleunigen? Ein erster Schritt wäre eine stärkere Förderung von jungen Unternehmen, denn viele Förderungen wirken strukturkonservierend: trotz Rekordwerten bei der öffentlichen F&E-Förderung ist der Strukturwandel in Österreich so langsam wie noch nie. Die Gruppe der wichtigsten F&E-Betreiber in der österreichischen Wirtschaft hat sich in den letzten 20 Jahren kaum verändert (Dachs und Drach 2019).

„Vollkaskomentalität"

Zweitens hat sich die Politik in den vergangenen Jahren zunehmend darauf konzentriert, bestehende Strukturen so lang als möglich zu erhalten. Verschiedene Beobachter erkennen eine „Vollkaskomentalität“, die zur Verlangsamung des Strukturwandels mit beigetragen hat. Es ist zum Beispiel schwer zu verstehen, warum die Bundesregierung trotz ihrer Klimaziele noch immer klimaschädliches Verhalten subventioniert, wie eine aktuelle WIFO-Studie zeigt.

Die österreichische Politik braucht deshalb mehr Mut, Strukturwandel zuzulassen; ein gutes Beispiel wäre der schwedische Ansatz, nicht Unternehmen, sondern Individuen vor den Auswirkungen des Strukturwandels zu schützen. Ein solcher Ansatz scheint langfristig besser für die wirtschaftliche Entwicklung, aber auch besser für Klima zu sein.

Der Autor: Bernhard Dachs ist Senior Scientist am AIT Austrian Institute of Technology.
Der Autor: Bernhard Dachs ist Senior Scientist am AIT Austrian Institute of Technology.AIT

Literatur

Aiginger, Karl (2001). "Speed of change and growth of manufacturing", in M. Peneder et al., Structural Change and Economic Growth, WIFO, Wien.

Dachs, Bernhard und Andreas Drach (2019). "Forschung und Entwicklung von Unternehmen in langfristiger Perspektive: Starkes Wachstum, alte Akteure", Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 20 (4), S. 340–351.

Kivimaa, Paula und Florian Kern (2016). "Creative destruction or mere niche support? Innovation policy mixes for sustainability transitions", Research Policy, 45 (1), S. 205-217.

Tichy, Gunther (2016). "Persistente Strukturprobleme trotz zutreffender Strukturprognosen", WIFO-Monatsberichte, 89 (8), S. 553-571.

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