Junge Forschung

Gesellschaft, Sexualität und Politik

Sein vermeintliches Nischenthema hat große politische Relevanz. Michael Hunklinger forscht künftig in den Niederlanden weiter.
Sein vermeintliches Nischenthema hat große politische Relevanz. Michael Hunklinger forscht künftig in den Niederlanden weiter. Caio Kauffmann
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Demokratieforscher Michael Hunklinger gehört zu den wenigen Wissenschaftlern, die sich in Europa mit LGBTIQ-Personen als Wählerinnen und Wählern befassen.

Alter, Geschlecht, Bildungsgrad oder Beruf: Die klassische Demokratieforschung geht auch im Jahr 2023 von traditionellen Personenmerkmalen aus, wenn es darum geht, Wahlverhalten oder Einstellungen zu politischen Themen abzufragen. Doch Menschen, die sich zur LGBTIQ-Community – die englische Abkürzung steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgeschlechtlich, intersexuell und/oder queer – zählen, lassen sich mit den üblichen Kategorien nicht so einfach abbilden. Immerhin gehen Schätzungen davon aus, dass fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung nicht heterosexuell sind. Diese Gruppe in der politikwissenschaftlichen Forschung sichtbarer zu machen, ist Michael Hunklinger ein Anliegen. Der 33-Jährige, der aus Bayern stammt, hat nach der Matura an der Universität Wien Politikwissenschaften studiert. „Mich interessiert, wie Gesellschaft funktioniert und wie Politik und Macht zusammenspielen “, begründet er seine Wahl.

Ein Brückenschlag in viele Richtungen

Nach Bachelor und Master an der Uni Wien wechselte Hunklinger als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das Department für Europapolitik und Demokratieforschung der Donau-Uni Krems. Er will mit seiner Arbeit eine Brücke zwischen Queer- und Genderstudies sowie klassischer Wahlforschung schlagen. „Eigentlich wollte ich nie zu Schwulen- und Lesbenthemen arbeiten, weil man damit immer in einer Schublade landet“, sagt der Jungforscher. Aber gerade weil die sexuelle Orientierung auch in Europa von manchen politischen Parteien – siehe Polen oder Ungarn – stark instrumentalisiert wird, fand er diesen Bereich spannend. Die politischen Einstellungen und das Wahlverhalten von Schwulen, Lesben und Transpersonen in Deutschland und Österreich wurden zu seinem Spezialgebiet und dem Thema der Dissertation. Die Idee dazu entstand eher zufällig: Am Rand eines Kongresses unterhielt er sich mit einer Politikwissenschaftlerin der Uni Gießen, die sich als eine der wenigen mit sexuellen Minderheiten befasst. Man war sich bei einem Glas Wein rasch einig, dass es im deutschsprachigen Raum nichts über das Wahlverhalten dieser Gruppe gebe. Ab 2015 arbeitete Hunklinger in Gießen und Wien an mehreren LGBTIQ-Wahlstudien. „Mit rund 5000 Personen haben wir weltweit das größte Sample“, erzählt der Politikwissenschaftler stolz. Am Anfang stand aber die Herausforderung, wie man diese Menschen für eine Befragung überhaupt erreicht. Eine normale Zufallsstichprobe hilft da wenig weiter. Über Partnerschaften mit LGBTIQ-Organisationen und Mundpropaganda entstanden selbstselektive Samples, schildert Hunklinger das Vorgehen: „Das ist eine andere Form der Stichprobe.“

Die Ergebnisse sind so vielfältig wie die Szene: „Die Personen, die sich beteiligt haben, tendieren politisch eher zu Mitte-links“, berichtet der Forscher. Das heiße aber nicht, dass es nicht auch schwule und lesbische ÖVP- oder FPÖ-Wählerinnen und -Wähler gebe. „Wem eine restriktive Linie in der Migrationsfrage wichtiger ist als die Gleichstellung von Homosexuellen bei der Ehe, der wird die Stimme eher der FPÖ geben.“ Ob ein Politiker oder eine Politikerin sich selbst oute, spiele bei der Wahlentscheidung kaum eine Rolle. Wichtiger sei, die politischen Anliegen der LGBTIQ-Community überzeugend zu vertreten. „Dazu reicht es nicht, einmal pro Jahr an der Pride Parade teilzunehmen.“ Von den Parteien werde das Thema sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität gern zur Abgrenzung oder Polarisierung verwendet. Die FPÖ spreche mit Positionierungen gegen LGBTIQ-Anliegen ihre traditionellen Wähler an. Die Grünen, Neos oder Sozialdemokraten signalisieren mit einer offenen Haltung der Mehrheitsgesellschaft und der Community Progressivität. Den Parteien rät er jedenfalls, die LGBTIQ-Community als relevante Wählergruppe stärker wahrzunehmen.

Er selbst hat sich mit dem anfänglichen Nischenthema gut positioniert. Ein Fulbright-Stipendium führte ihn vergangenes Jahr in die USA, der Abschluss seiner (kürzlich mit dem Pride-Biz-Austria-Forschungspreis ausgezeichneten) Dissertation brachte ihm nun einen Ruf an die Universität Amsterdam ein.

Zur Person

Michael Hunklinger (33) hat an der Uni Wien Politikwissenschaften studiert. Danach führte er an der Donau-Uni Krems Studien zum Wahlverhalten von Schwulen, Lesben und Transpersonen durch. Auch seine Dissertation widmete er dem Thema. 2022 war er mit einem Fulbright-Stipendium an der Loyola Marymount University in Los Angels, USA, seit Jahresbeginn forscht er an der Uni Amsterdam.

Alle Beiträge unter: www.diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2023)

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