Skandal

MeToo: Tilla Durieux, der Zensor und Karl Kraus

Die Schauspielerin Tilla Durieux setzte sich zum obersten Polizeibeamten in die Loge und lenkte ihn ab.
Die Schauspielerin Tilla Durieux setzte sich zum obersten Polizeibeamten in die Loge und lenkte ihn ab.ÖNB/Picturedesk
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An die Kunst der Tilla Durieux erinnert derzeit eine Schau im Leopold Museum. Was weniger bekannt ist: Die Schauspielerin war in einen Skandal verwickelt – einen MeToo-Fall des Deutschen Kaiserreiches.

Am 15. Februar 1911 war in den Berliner Kammerspielen die erste Aufführung von Carl Sternheims „Die Hose“ angesetzt. In diesem Stück verliert Luise, die Gattin des Beamten Theobald Maske, „auf offener Straße, vor den Augen des Königs sozusagen“, ihre Unterhose. Alle Unschuldsbeteuerungen nützen ihr nichts, sie wird von ihrem Mann verprügelt, der gleichzeitig die erotische Zweideutigkeit rund um seine Frau für seinen beruflichen Aufstieg nützt.

Der oberste Zensor jener Zeit hieß Traugott von Jagow, er war Berliner Polizeipräsident. Seine Biografie nimmt nicht gerade für ihn ein. 1920 beteiligte er sich am antirepublikanischen Kapsch-Putsch. Ein Plakat, das er angesichts angekündigter Demonstrationen der Sozialdemokratie affichieren ließ, illustriert sein Amtsverständnis: „Die Straße dient dem Verkehr. Ich warne Neugierige.“ Zwei Wochen vor der Uraufführung hatte Jagow zwei Nummern der in Paul Cassirers Verlag erscheinenden Zeitschrift „Der Pan“ beschlagnahmen lassen: Es handle sich bei Flauberts Notizen über seine Orientreise um „unzüchtige“ Schriften. Jetzt wollte er auch „Die Hose“ verbieten. Die vom Autor/Verleger Paul Cassirer und Regisseur Max Reinhardt angebotene Änderung des Titels reichte ihm nicht.

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