Wenn SPÖ und ÖVP bis zu den nächsten Wahlen 2013 in Reformstarre verharren, können sie Strache gleich den Teppich ins Kanzleramt ausrollen.
Doch, da ist noch politisches Leben. Sage noch einer, in dieser Republik, in der Stillstand ungeschriebene Verfassungsbestimmung ist und Beharrungskräfte die absolute Mehrheit haben, würden sensible Bewegungsmelder nicht doch die eine oder andere Veränderung wahrnehmen. In der Frage zweisprachiger Ortstafeln entdeckt die SPÖ gerade, dass Kärnten, das seit Jörg Haiders Amtszeit quasi als heimischer Schurkenstaat gegolten hat, unter Nachlassverwalter Gerhard Dörfler ein echter Verhandlungspartner sein kann.
Unter dem Druck des Schuldenbergs passiert in Kärnten auch schier Undenkbares. Im Vorjahr wurde begonnen, Pensionsprivilegien der Landesbediensteten zurückzustutzen, wenn auch nicht so radikal, wie das der Rechnungshof möchte. Bundeskanzler Faymann muss so gesehen aufpassen: Sonst wird ausgerechnet Dörfler noch als größerer Reformer in die Geschichte eingehen.
Diese Schmach droht nicht nur dem SPÖ-Bundeskanzler, sondern auch seinen Parteigenossen in der Bundeshauptstadt. Aber wir sind sicher, dass sich Häupls Rathaus-SPÖ keinesfalls nachsagen lassen will, Kärnten zeige bei Reformen der Pensionsrechte mehr Elan. Wenn schon die rote Stadtführung nicht einsehen will, dass sich günstigere Regelungen für den gesamten Apparat nicht mit dem Hinweis auf die Erschwernisse für Krankenschwestern auf Dauer verteidigen lassen, wird ihnen ihr grüner Koalitionspartner garantiert gern Nachhilfe erteilen, dass dies auf Kosten der Jungen nicht solidarisch ist. Auf Bundesebene geben die Grünen für Einschnitte bei den Beamtenpensionen ja gern Ezzes.
Aber man muss nicht in die Bundesländer schauen. Auch auf Bundesebene haben die Bewegungsmelder hin und wieder zumindest schon angeschlagen. Zu oft war es Fehlalarm durch Getöse. Aber mit einer gehörigen Portion guten Willens lassen sich zwischen jeder Menge Betonköpfe und Widerstandsinseln Anzeichen finden, dass manche in der rot-schwarzen Koalition erkannt haben: Mit ewigem Herumdrücken lässt sich kein Staat machen – nicht einmal eine Große Koalition für alle Ewigkeit samt pragmatisierten Regierungsposten für Rot und Schwarz.
Ein Schulbeispiel im doppelten Sinn gibt es gerade. Die SPÖ kann natürlich das ÖVP-Schulpapier ungschaut vom Pult fegen, weil es den SPÖ-Wunsch nach einer Gesamtschule der Zehn- bis 14-Jährigen nicht enthält. Aber dann sollte Faymann so ehrlich sein und das von ihm ausgerufene Jahr der Bildungsreform gleich wieder absagen.
Mit antrainierten Beißreflexen werden rote wie schwarze Politiker sich nur ihre Zähne ruinieren. Es geht anders: Der schwarze Finanzstaatssekretär Reinhold Lopatka findet Pläne von SPÖ-Gesundheitsminister Stöger, mit denen die Macht der Länder beschnitten würde, diskussionswürdig. Auch schon was? Ja, im Vergleich dazu, dass der rote Minister vor Monaten noch froh sein musste, einer öffentlichen Steinigung zu entgehen.
Sozialminister Hundstorfer macht sich erstmals daran, Doppelgleisigkeiten zwischen Bund und Ländern bei der Abwicklung des Pflegegeldes zu beseitigen. Keine reformerische Heldentat, okay, aber besser als der jetzige teure und für Betroffene unbefriedigende Zustand. Beamtenministerin Heinisch-Hosek und Innenministerin Fekter haben sich zusammengerauft, dass frühere Postbeamte die Polizei in der Verwaltung entlasten. Auch nicht die Endstufe verbesserter Versetzungsmöglichkeiten im öffentlichen Dienst, aber immer noch besser, als Mitarbeiter fürs Däumchendrehen zu bezahlen.
Was entgegen allen Erwartungen noch einen letzten Funken Hoffnung lässt, dass in der wahlfreien Zeit bis 2013 der Reformbewegungsmelder vielleicht öfter anschlagen könnte? Mit ständigem Abkassieren und Steuererhöhungen vertreibt diese Regierung die Bürger und Wähler auch – wie sie jetzt sieht. Irgendwo muss bei SPÖ- und ÖVP-Politikern, die wiedergewählt werden wollen, noch ein Rest von Selbsterhaltungstrieb vorhanden sein. Sonst stiehlt nicht nur ein Kärntner Landeschef dem Kanzler die Schau, sondern die Koalition kann gleich FPÖ-Chef Strache den Teppich ins Kanzleramt ausrollen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2011)