Redebedarf

Wie bekommt man analoge Likes?

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Von selbst kommt kein Feed-Back. Man muss es sich holen.(c) IMAGO/Panthermedia (PheelingsMedia via imago-images.)
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100 Rätsel der Kommunikation. Folge 21. Von selbst kommt kein Feed-Back aus der Welt. Man muss es sich schon holen. Mit gelben Schuhen zum Beispiel.

Es ist so wie mit dem Zug oder der Post, die ausnahmsweise nicht kommen. Erst die Abweichung von der Erwartung kreiert Aufmerksamkeit. Das ist im Job auch so. Solange man ihn gut macht, ist es selbstverständlich. Sobald nicht mehr ist es ein Problem. Doch heute ist ein schöner Tag. Heute hol ich mir Aufmerksamkeit. Heute ziehe ich meinen ganz besonderen Pullover an. Heute setz ich meinen auffälligsten Hut auf. Ok, ich bleib beim Pullover. Schließlich will man nicht den ganzen Tag unbemerkt durch den Alltag schlüpfen. Und nur wahrgenommen werden, wenn man zuhause im Bad zu lange braucht oder in der Küche im Weg steht. Den ganzen Tag so ohne Echo, das ist nichts für das soziale Wesen Mensch. Zusammen überlebt man leichter, das lässt einen die Evolution noch heute spüren, wenn wir abends wieder frustriert unter die Decke kriechen. Weil da kein Feed-Back gekommen ist. Außer vom Fahrschein-Automaten, der sich höflich bedankt hat.

Komplimente fischen

Für Feed-Back sind ja die Menschen viel zu sehr beschäftigt, mit ihrem eigenen Feed-Back. Deshalb schauen sie ja auf die Bildschirme und Displays, ob sie nicht etwa auf irgendeiner Social-Media-Plattform wahrgenommen werden. Denn im Internet kann man das Feed-Back ein wenig besser steuern, falls man das Gefühl haben sollte, in der analogen Welt zu wenig nachzuhallen. Man muss nur alles ein wenig zuspitzen. Inhalte oder Lippen. Katzen. Like. Nackt. Like. Essen. Like. Blumen oder Natur. Manchmal Like. Am besten sitzt man nackt mit Katzen und Essen in einer Blumenwiese und hat einen Selfie-Stick dabei. Der analoge Alltag macht es einem da schon schwerer. Man könnte auch nackt mit Katzen durch die Stadt laufen. Wären da nicht diese hinderlichen sozialen Konventionen. Doch im Internet kann man nackter, direkter und gemeiner sein als sonst wo.

Ich probier’s noch immer mit Echo in analogen Räumen. Manchmal lächle ich so vor mich hin. Oder ich gehe eben mit Kleidung draußen Komplimente fischen. Ich hab in den letzten vier Jahren drei Likes bekommen im öffentlichen Raum. Einmal für meine ziemlich grell-gelben Winterschuhe. Und zweimal für ein und denselben Pullover. Und ich muss sagen: Nichts beflügelt oder verstört mehr als ein lächelnder Mensch, der auf einen zukommt und sagt: „So ein schöner Pullover“. Obwohl die Menschen unter 30 wohl sagen würden: „Ich liebe deinen Pullover“. Denn aus dem Digitalen ist man ja gewohnt, alles zu lieben oder zu hassen, bevor man mal vorsichtig mag oder nicht so toll findet. Einmal in meinem Leben war ich im Fernsehen, in einem Talk-Format. Viele Freunde haben es gesehen. Sie sagten: „Du warst gut. Aber vor allem dein Pullover“. 

Da hab ich mir vorgenommen, die Liebe für die Kleidung anderer auch etwas großzügiger zu verteilen. An Wildfremde. Letztens bin ich einem bunt gestreiftem Schal gefolgt. An einer Frau. Vielleicht hatten wir auch den gleichen Weg zufällig. Irgendwie musste ich es einfach loswerden, wie gut mir der Schal gefällt. Die ganze Zeit habe ich überlegt, ob das nicht anmaßend, unpassend, belästigend, sexistisch, toxisch sein könnte. Dann hab ich mich durchgerungen. Bekommen hab ich ein kurzes Danke und einen verstörten Blick. Ich glaube, ich like wieder digital. Das ist nicht so aufwändig.

100 Rätsel der Kommunikation

Norbert Philipp bespricht in dieser Kolumne die dringendsten Fragen der digitalen und analogen Kommunikation: Muss man zu Chatbots höflich sein? Wie schreit und schweigt man eigentlich digital? Heißt „Sorry“ dasselbe wie „Es tut mir leid“?. Und warum verrät „Smoke on the Water“ als Klingelton, dass ich über 50 bin.


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