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„Enorm ungerechte“ Arbeitsbedingungen für ORF-Mitarbeiter

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THEMENBILD: FUNKHAUS WIEN / RADIOKULTURHAUS / �1(c) APA (GEORG HOCHMUTH)
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Eine ehemalige Ö1-Mitarbeiterin prangert an: „Unter so prekären Bedingungen sollte niemand arbeiten.“ Doch die freien Mitarbeiter im ORF dürfen in Kettenverträgen angestellt werden. Für ORF-Chef Weißmann kommt die Kritik zur Unzeit.

Gemeinsam mit dem Kultur- und Informationssender ORF III ist der Radiosender Ö1 das Aushängeschild für Qualität im ORF. Doch guter Arbeitsbedingungen kann sich Ö1 nicht rühmen. Viele Mitarbeiter sind nicht fix angestellt, sondern hanteln sich von freiem Dienstvertrag zu freiem Dienstvertrag - und das über viele Jahre. Das ORF-Gesetz macht dies möglich, denn darin sind Kettenverträge erlaubt, wie sonst nur etwa auf Universitäten oder in Theatern. Diese Praxis gibt es quer durch den ORF, bei Ö1 führt die junge Journalistin Jana Wiese nun vor Augen, wie belastend diese Arbeitsbedingungen sind.

Mit Jahresanfang habe sie bei Ö1 aufgehört. „Endlich“, schrieb sie am Dienstag auf Twitter und in ihrem Blog. „Nicht, weil mir meine Arbeit nicht (mehr) gefallen würde“, präzisiert sie, „sondern einzig und allein wegen der prekären Bedingungen und der allgemeinen Perspektivlosigkeit.“ Mehr als vier Jahre arbeitete sie beim Radiosender, eine Anstellung war nicht in Sicht. Redaktionelle Stellen seien rar und würden nach Pensionierungen oft nicht nachbesetzt. „Ich bin es leid, für ein Unternehmen zu arbeiten, das junge, engagierte Menschen in prekäre Arbeitsverhältnisse drängt und ihnen jahrelang die Karotte einer ,echten' Anstellung vor die Nase hält, die für die meisten aber doch nie Realität wird“, schreibt Wiese.

Ohne funktionierende E-Card zum Arzt

Die Tätigkeiten zwischen Angestellten und Freien unterscheiden sich dabei kaum, schildert die Journalistin. Erwartet werde, dass man bei Redaktionssitzungen und Klausuren dabei sei. Nur dann bekommt man Arbeitsaufträge, die man dringend braucht: Denn nur wenn regelmäßig – etwa alle zwei Wochen – ein eigener Beitrag auf Ö1 erscheint, bleibe man versichert.

„Ich bin zum Beispiel zweimal ohne funktionierende E-Card dagestanden und musste auf das Wohlwollen der Ärzt_innen hoffen, mich ohne Versicherung trotzdem kostenlos zu behandeln (hat nur einmal funktioniert)“, berichtet Wiese. Geld gibt es nur für fertige, ausgestrahlte Sendungen, Planung sei unmöglich. „Unfall, längere Krankheit oder Schwangerschaft können so zu einer existenziellen Bedrohung werden.“

ORF: Alle gesetzlichen Bestimmungen eingehalten

Der ORF wehrt sich gegen die Kritik: Man beschäftige „Mitarbeiter ausschließlich auf gesetzlich korrekte Art und Weise, nämlich auf Basis arbeitsrechtlicher Bestimmungen“, heißt es in einem Statement gegenüber der „Presse“. „Die Vielfalt der Programme des ORF bedingt auch unterschiedliche Beschäftigungsverhältnisse, wie es sie in vielen Unternehmen gibt. Manche freie MitarbeiterInnen arbeiten nur fallweise im ORF, andere regelmäßig. Auch im konkreten Fall sind alle gesetzlichen Bestimmungen eingehalten worden, andere Behauptungen sind falsch."

Für ORF-Generaldirektor Roland Weißmann kommt die Kritik zur Unzeit: Derzeit wird über eine Novelle des ORF-Gesetzes verhandelt, die dem Öffentlich-Rechtlichen eigentlich mehr Freiheiten im digitalen Raum einräumen sollte (Sendungen sollen länger in der TVthek sein und Inhalte extra für Online produziert werden dürfen). Doch im ORF tut sich durch Inflation und Teuerung ein Finanzloch auf. Prognostiziert sollen der APA zufolge ein Minus von 70 Millionen Euro für 2024, ein Minus von 90 Millionen für 2025 und Verluste in der Höhe von 130 Millionen Euro für 2026 sein.

Weißmann fordert daher eine Neuregelung der Finanzierung bis März 2023. Mit mehr Geld darf er nicht rechnen. Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) richtete ihm Anfang Jänner aus: „Das Geld für den ORF wächst nicht auf den Bäumen.“ Sie forderte einen Kassensturz vom ORF-Chef und dass man sich ansieht, „wo man in der Struktur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sparen kann".

Eine Anstellungswelle kann sich Weißmann kaum leisten, dabei hatten freie Mitarbeiter schon vor seiner Wahl zum ORF-Generaldirektor im August 2021 in einem Brief an die Geschäftsführung bessere Arbeitsbedingungen gefordert: „Untragbar“ nannten sie die Situation darin. „Mein Prinzip ist: Wer für den ORF arbeitet, muss auch davon leben können“, sagte Weißmann damals. Passiert ist seither nichts.

Würde EUGh die Regelung kippen?

Ob die Praxis des ORF vor Gericht standhalten würde, daran zweifelt die Arbeitsrechtlerin und Verfassungsrichterin Sieglinde Gahleitner, die bereits Mitarbeiter des ORF vertreten hat. „Der ORF schließt oft Vergleiche, wenn es um solche Sachen geht“, sagte die Juristin der „Kleinen Zeitung.“ Bei einer außergerichtlichen Einigung könne das Verfahren nicht bis zum Europäischen Gerichtshof (EUGh) geführt werden. Wenn man die Regelung des ORF vor den EUGh bringen würde, würde sie „meiner Meinung nach nicht halten“, so Gahleitner. Aber die freien ORF-Mitarbeiter würden zögern, vor Gericht zu ziehen: „Der ORF hat in Österreich eine Monopolstellung und wer als Journalist Karriere machen möchte, weiß, dass eine Klage gegen den ORF große Nachteile auf einem Überschaubaren Markt für ihn haben kann.“

>> Blogeintrag von Jana Wiese

>> Bericht in der „Kleinen Zeitung"

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