Gastkommentar

Netzausbau: Wer trägt die Kosten?

Das Konzept unabhängiger Regulierungsbehörden rechtfertigt nicht die Abschottung gegenüber politischen Vorgaben.

Der Autor

Dr. Reinhard Schanda ist Rechtsanwalt und Energieexperte in Wien.

Der EuGH sprach im Jahr 2021 in einem Urteil zur deutschen Rechtslage aus, dass für die Festsetzung der Stromnetzentgelte ausschließlich die Regulierungsbehörde zuständig sei und deren völlige Unabhängigkeit auch gegenüber Trägern der legislativen Gewalt bestehen müsse (Rs C-718/18, Rz 112). Das führt nun dazu, dass der österreichische Gesetzgeber seine Normsetzungskompetenz zu diesem Thema weitgehend an die Regulierungsbehörde (E-Control) abtreten will. Diesem Verständnis liegen ein paar fehlerhafte Prämissen zugrunde.

Das Konzept der unabhängigen Regulierungsbehörde stammt aus der Zeit der Einführung von Wettbewerb gegenüber vormaligen Monopolisten im staatlichen Einflussbereich. Es bildete eine Strategie zur Immunisierung des Wettbewerbs gegenüber Eigeninteressen des Staats als Marktteilnehmer. Es rechtfertigt aber keine Abschottung gegenüber politischen Vorgaben des Gesetzgebers, etwa zugunsten der Umstellung der Stromerzeugung auf erneuerbare Energieträger im Interesse von Klimaschutz und Versorgungssicherheit.

In einer Demokratie geht das Recht vom Volk aus, in einer repräsentativen Demokratie vom Parlament. Ein Verständnis, das dem Parlament das Recht zur Gesetzgebung nimmt, widerspricht daher dem demokratischen Prinzip. Das gilt für das Thema Energie auch innerhalb der EU.

Die Gesetzgebungskompetenz im Energierecht wurde nicht etwa zur Gänze an die EU-Gesetzgebungsorgane übertragen. Es handelt sich bei Energie vielmehr um eine geteilte Zuständigkeit (Art 4 Abs 2 lit j AEUV). Die EU-Organe haben hier nur jene Kompetenzen, die ihnen im AEUV (gem. Art 194 Abs 2 AEUV) ausdrücklich eingeräumt wurden. Behörden haben die Vorgaben des Gesetzgebers als Repräsentant des Volks umzusetzen und diesem gegenüber verantwortlich zu sein. Das gilt auch für Regulierungsbehörden.

Unabhängigkeit ist ein zweischneidiges Schwert. Unabhängigkeit von anderen Behörden – auch von der Bundesregierung – kann sachlich gerechtfertigt sein. Unabhängigkeit vom Gesetzgeber, also dem Volk, würde hingegen bedeuten, dass die Behörde niemandem mehr verantwortlich wäre – und würde daher unkontrollierbare Willkür gegenüber dem Volk ermöglichen.

Gesetzgeber entscheidet

Die Vorgaben des Gesetzgebers können sich zum Beispiel darauf richten zu regeln, wer die Kosten des Netzausbaus für den Anschluss von neuen Kraftwerken auf Basis erneuerbarer Energieträger tragen soll. Diese Kosten werden über Netzentgelte finanziert. Man kann diese Kosten allein den Errichtern neuer Kraftwerke aufbürden, oder man kann sie auf alle Stromverbraucher sozialisieren. Man kann sie nur regional oder aber bundesweit sozialisieren. Diese Entscheidung betrifft keine Frage des Wettbewerbs unter konkurrierenden Anbietern von Strom gegenüber Kunden. Sie reicht daher auch über den bloßen Aspekt des Funktionierens des Energiemarkts (für den eine Zuständigkeit der EU-Gesetzgeber nach Art 194 Abs 2 AEUV besteht) hinaus.

Sie setzt vielmehr eine Antwort auf die Frage voraus, in wessen Interesse der Anschluss solcher neuer Kraftwerkskapazität eigentlich liegt, und wie solche politisch gewollten neuen Kraftwerke am besten angereizt werden können. Die Antwort auf diese Frage setzt also einen Blick voraus, der über ein enges Kausalitätsverständnis hinausreicht. Diese Grundsatzentscheidung ist vom Gesetzgeber zu treffen, nicht von Beamten einer ungewählten Behörde.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2023)

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