Gastbeitrag

Teichtmeister – und dann?

(c) Peter Kufner
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Was wird sich ändern müssen, damit Betroffene Gehör finden und adäquat reagiert werden kann – an Film- und Serien-Sets, Bühnen und anderswo? Es braucht neue Fragen und Antworten.

Es gibt gesellschaftliche Veränderungen, die zeigen sich erst, wenn es laut kracht. Mitte September 2021 wurde anonymisiert über einen „prominenten Schauspieler“ berichtet. Es ging um ein Mitglied renommierter Bühnen, der von seiner ehemaligen Lebensgefährtin angezeigt wurde, er habe sie körperlich angegriffen und sei im Besitz von Kindesmissbrauchsdarstellungen.

Vor einer Woche erschien dann erstmals der Name zur Meldung: Florian Teichtmeister, Ensemblemitglied des Burgtheaters, einer der Darsteller aus Marie Kreutzers „Corsage“ und der ORF/ZDF-produzierten Krimireihe „Die Toten von Salzburg“. Ganz Österreich hatte schlagartig Expertise in Sachen Unschuldsvermutung und Arbeitsrecht für Pädophile, obwohl die Hintergrundberichterstattung über den Fall vermutlich noch nicht abgeschlossen ist und das Verfahren erst bevorsteht.

Am 8. Februar kommt Teichtmeister jedenfalls vor Gericht, er wird sich schuldig bekennen, informierte sein Anwalt, dessen Formulierungen (Kooperation, „seelische Probleme“) oft zitiert wurden.

Die Autorin: Julia Pühringer ist Journalistin mit dem Schwerpunkt Kino und Kultur, sie schreibt u. a. für „Tele“, „Standard“ und die „An.schläge“. Sie interessiert sich für Geschlechterverhältnisse und Diversität im Film, in der Filmgeschichte und ihrer Kanonschreibung.
Die Autorin: Julia Pühringer ist Journalistin mit dem Schwerpunkt Kino und Kultur, sie schreibt u. a. für „Tele“, „Standard“ und die „An.schläge“. Sie interessiert sich für Geschlechterverhältnisse und Diversität im Film, in der Filmgeschichte und ihrer Kanonschreibung.

Viele Fragen suchten dringend nach Antworten: Wer hat seit wann etwas gewusst? Wer hat wie reagiert? Sowohl die Macherinnen und Macher von „Corsage“ als auch das Burgtheater ließen wissen, man habe, sinngemäß, in Bezug auf die Gerüchte bei Teichtmeister selbst nachgefragt und ihm geglaubt.

Das ist einer der Momente, in denen klar wird, dass bereits ein Umbruch stattgefunden hat. Ein möglicher Täter sagt „Das stimmt nicht“, und die Sache ist vom Tisch? Dahinter steht ein anderes strukturelles Problem: Es schien offenbar denkbar, dass der Name nicht öffentlich genannt würde – eine nicht unrealistische Einschätzung. Dass in Österreich bis dato kaum Namen genannt werden, hat wenig damit zu tun, dass das Thema Missbrauch eine statistisch geringere Rolle spielte als anderswo.

Bezeichnenderweise musste in Österreich 2021 eine Anti-Gewalt-Kampagne vom Verein Autonome Frauenhäuser (AÖF) zurückgezogen werden, weil zwei der sechs mitwirkenden Schauspieler von Betroffenen als Täter „geoutet“ wurden, was die Statistik auf ungewollte Weise bestätigte.

Bühne für Täter, Täterinnen

Klar ist eines, jedenfalls rückwirkend: Der Schutz von möglichen Betroffenen im Arbeitsbereich ist schlagendes Argument für eine rigorosere Vorgangsweise, wie auch eine mögliche Schädigung des fertigen Produkts (Theaterstück, Serie, Film) bzw. der Institution, die sie herstellt. Wer möchte schon, dass der eigene Film zum Präzedenzfall wird?

Seit einiger Zeit gibt es für die österreichische Film- und Fernsehbranche mit #we_do! eine Anlauf- und Beratungsstelle gegen Diskriminierung und Ungleichbehandlung, Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe und Verletzungen im Arbeitsrecht. Sie hat inzwischen viel zu tun – unter anderem, weil Regisseurin Katharina Mückstein voriges Jahr auf Instagram sowie Darstellerin Luna Jordan bei der Gala des Österreichischen Filmpreises thematisierten, dass Täter und Täterinnen immer noch eine Bühne bekommen und Übergriffe stattfinden.

Diskussionen in Gang gebracht

Auch die Berichterstattung über die Dreharbeiten von Ulrich Seidls „Sparta“, bei denen es laut „Spiegel“ zu Unregelmäßigkeiten bei der Betreuung von minderjährigen Darstellern gekommen sei, hat die Diskussion über Arbeitsweisen am Set befeuert. Das Österreichische Filminstitut (ÖFI) prüfte, es konnten keine vertraglichen Pflichtverletzungen nachgewiesen werden. Nichtsdestotrotz werden österreichische Produktionen in Hinkunft wohl auf die Betreuung Minderjähriger am Set ganz besonders Wert legen.

Insofern scheint sich zu bestätigen, dass erst mit medialer Berichterstattung wichtige Diskussionen in Gang kommen und Veränderung stattfindet. Dabei zu berücksichtigen ist aber, wie riskant dieser Weg vor allem bei Übergriffen für Betroffene sein kann. „Auch auf Unterlassung geklagt zu werden kann Streitwerte bis in den fünfstelligen Bereich mit sich bringen. Da kann man sich nicht leisten, seine Geschichte zu erzählen“, sagt Sonja Aziz, Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Familienrecht und juristische Prozessbegleitung.

Sich bei möglichen Tätern auf deren moralischen Kompass und adäquates Verhalten in Sachen Wahrheitsfindung und Rollenauswahl zu verlassen, hat sich, höflich ausgedrückt, jedenfalls nicht als gute Lösung erwiesen. „Spätestens wenn Gesprächsbereitschaft der Betroffenen an die Arbeitgeber herangebracht wird, muss man die Möglichkeit einräumen, beide Seiten anzuhören“, so Aziz.

Wer hat letztlich die Verantwortung dafür, was am Set passiert? „Die Produktion muss reagieren, wenn ihr zur Kenntnis kommt, dass etwas schiefläuft. Das setzt natürlich voraus, dass es ihr zur Kenntnis kommt“, so Iris Zappe-Heller, Stellvertreterin des Direktors des Österreichischen Filminstituts. „Wir versuchen, in die Branche hineinzutragen, dass es Ansprechpersonen geben muss, und zwar interne wie externe. Eine Person, die direkt von der Produktionsfirma kommt, hat den Vorteil, dass die Firma schnell reagieren kann – und muss. Aber wenn das so einfach wäre, dann hätte das vorher auch schon passieren können, das ist aber nicht geschehen.“ Deshalb muss es zusätzlich auch eine Ansprechperson außerhalb der Produktion geben, an die man sich vertraulich wenden kann, ein Äquivalent oder eine Ergänzung zu den Stellen „#we?do!“ oder der Vertrauensstelle „vera*“. Derzeit sucht man Expertinnen und Experten dafür, „und wir akzeptieren das selbstverständlich in den Kalkulationen der uns eingereichten Projekte“. Zappe-Heller hofft, „dass Dinge jetzt endlich an die Oberfläche kommen. Dann wird man vielleicht ein bisschen schneller und anders agieren können.“

Generalverdacht gegen Opfer

Zu verlernen gilt es die Täter-Opfer-Umkehr, „eine Reaktion, die sich aus Vorurteilen speist. Das bestehende Machtgefälle wirkt sich zuungunsten der Frauen aus“, so Birgitt Haller, wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Konfliktforschung. „Es gibt bereits eine evidente Anzeigenhemmnis und es gilt, diese abzubauen“, so Sonja Aziz. Zu tun hat das unter anderem auch mit dem „Generalverdacht, mit dem jedes Opfer, das Vorwürfe äußert, rechnen muss“. Nur so hat die Mär von der gekränkten Ex auch im Fall Teichtmeister Glauben bekommen können.

Wo liegen nun die rechtlichen Verpflichtungen Mitarbeitenden gegenüber? Und was sind die moralischen? „Der Dienstgeber hat eine Schutzpflicht den Dienstnehmenden gegenüber, was vermutlich bekannt ist, weil man im Verdachtsfall einen möglichen Täter befragt. ,Moralisch‘ geht es wohl darum, ob die Würde des Opfers wichtiger ist als andere Überlegungen, zum Beispiel wirtschaftliche“, so Birgitt Haller.

So muss weiterhin an allen Schrauben gedreht werden: Es braucht Vertrauensstellen, eine andere Bandbreite an möglichen Reaktionen auf Problemfälle sowie die Möglichkeit für Betroffene, sich zu äußern, zu ihrem Recht zu kommen und dabei Unterstützung zu finden und nicht auf Unglauben oder Schweigen zu stoßen. Dasselbe gilt für Betroffene jenseits des Rampenlichts. „Ich glaube schon daran, dass viele Leute gemeinsam auch etwas gegen Einzelne unternehmen können“, sagt Zappe-Heller. Zeit wird's.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2023)

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