#luckygirlsyndrom

Wie ein Hashtag auf TikTok das große Glück verspricht

Canola Plant Field Near Berlin
Canola Plant Field Near Berlin(c) Getty Images (Sean Gallup)
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Das ganz große Glück und das sofort: Einfach daran glauben, schon ist es da! Zumindest wenn man den Anleitungen Glauben schenkt, die derzeit unter dem Hashtag #luckygirlsyndrom viral gehen.

„Wunder passieren mir jeden einzelnen Tag“, „Alles klappt bei mir immer“ oder „Ich bin immer zur richtigen Zeit am Ort“: Was klingt wie wenig durchdachte und etwas gutgläubige Annahmen sind eigentlich Empfehlungen, die junge Frauen auf Social Media ihren Followerinnen ans Herz legen. Wer sich solche Affirmationen täglich vorsagt, so die Annahme, und daran glaubt, der wird bald zu den auserwählten „lucky girls“ gehören, denen tatsächlich nur Gutes widerfährt.

Auf Social Media verstecken sich hinter schnelllebigen Tanzvideos und Feel-Good-Inhalten in Pastelltönen oftmals fragwürdige Weltanschauungen. Ob vom viel kritisierten Hashtag #stayathomegirlfriend bis hin zu den #tradwifes, kurz für „traditional wives“, also traditionelle Hausfrauen, gibt es auf TikTok und Instagram vor allem jede Menge fragwürdige Frauenbilder. Der seit etwa einem Monat populäre Hashtag #luckygirlsyndrom scheint auf den ersten Blick etwas harmloser zu sein. Unter dieser Beschlagwortung, mit immerhin über 100 Millionen Aufrufen auf TikTok, erzählen junge Frauen davon, wie es sich anfühlt, das Glück gefunden zu haben. Der Entscheidung, positiv zu denken, wird hier sogar lebensverändernde Kraft zugesprochen.

Während in den vergangenen Jahren bereits der Glaube an Astrologie als Lifestyletrend gefeiert wurde, wird nun die positive Herangehensweise als revolutionierende Lebensanschauung wiederentdeckt. Wem der Gedanke bekannt vorkommt, der irrt nicht. Der 2006 erschienene Selbsthilfebuch „The Secret“ von Rhonda Byrne wurde mit einem ähnlichen Ansatz zum weltweiten Verkaufsschlager. Darin wird das pseudowissenschaftliche „Gesetz der Anziehung“ propagiert. Nach dem Motto „Frage danach, glaube daran und empfange es“ könne man sich durch gedanklichen Fokus und Visualisierung ganze Lebensbereiche wie Gesundheit, Partnerschaft und Karriere umgestalten. Entgegen Byrnes Behauptung konnten später aufgezeigt werden, dass das Buch auf keiner wissenschaftlichen Basis beruht.

Die Ideen und Theorien aus „The Secret“ nehmen wiederum Anleihe an der sogenannten „Neugeist-Bewegung“ (auf Englisch „New Thought Movement“), einer spirituellen Lebensphilosophie, die Ende des 19. Jahrhunderts insbesondere in den USA populär wurde. Auch hier wird dem eigenen Denken schöpferische Macht zugeschrieben, die sogar Krankheit heilen kann und außerdem für Wohlstand und Glück sorgt. Dass auch diese religiöse Bewegung ohne wissenschaftliche Belege blieb, überrascht wenig.

Vom Zwang, positiv zu denken

Auch bei den Lebensratschlägen auf TikTok steht die wissenschaftliche Herangehensweise nicht gerade im Vordergrund. Bereits seit einigen Jahren wird die Praxis des Manifestierens dort im großen Ausmaß betrieben und beworben. Und zwar in einem solchen Umfang, dass dafür schon wieder ein neues Buzzword geschaffen wurde, nämlich „toxic positivity“, also toxische Positivität, eine in der Psychologie mittlerweile breit erforschte Strömung.  Damit ist die übertriebene Betonung einer optimistischen Grundhaltung gemeint. Der zunehmende Druck, auf alle Ereignisse und Lebenssituationen positiv reagieren zu müssen, kann dazu führen, tatsächliche Emotionen zu unterdrücken.

Wer gehört zu den „lucky girls“?

Obwohl viele Vertreterinnen der „lucky girls“ auf TikTok ihre Ratschläge und Erfahrungsberichte mit Augenzwinkern präsentieren, also nach dem Motto „Hilft es nicht, so schadet es zumindest nicht“, werden die strukturellen Hintergründe, vor denen sich manche als besonders glücklich begreifen und inszenieren können, nicht mitbedacht. Diskriminierende Strukturen wie Rassismus oder sozioökonomische Ungerechtigkeit werden sogar völlig außer Acht gelassen. Und im Umkehrschluss bedeutet diese Lebenseinstellung auch, wem Schlimmes passiert, der hat einfach nicht fest genug ans große Glück geglaubt.

(chrima)

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