Der Praterwal thronte mehr als 60 Jahre lang über dem Eingang des Restaurants Zum Walfisch.
Maria Benke

Die Frau, die vor 73 Jahren auf Walfang ging

Über Maria Benke, unsere Mutter, die Gestalterin des 1951 erbauten Praterwals, der ab 6. Dezember als größtes Objekt der Dauerausstellung im neu eröffneten Wien-Museum zu besichtigen ist.

„Ein Walfisch ist kein Fisch.“ Das betonte sie immer wieder. Er sei ein Säugetier. Das wusste schließlich jedes ihrer Kinder. „Er heißt Wal, nicht Walfisch!“

Damals war uns dreien nicht bewusst, warum ihr das so wichtig war. Wir hatten keine Ahnung von ihrer gestalterischen Planung dieses riesigen kupfernen Tiers, das ab 1951 den Eingang des bekannten Prater-Gasthaus Zum Walfisch zierte. Erst viel später löste sich das Rätsel auf. „Eure Mutter hat doch den Wal entworfen, den Praterwal“, erklärte uns eine ihrer engsten Freundinnen.

Es muss Anfang 1950 gewesen sein. Maria Benke arbeitete im Architekturbüro Waage-Kroupa in der Operngasse. Sie war seit ihrem Studienabschluss an der Akademie für angewandte Kunst (heute Universität für angewandte Kunst) dort beschäftigt. Das Planungsbüro galt als renommiert, wurde mit Büro-, Geschäfts- und Wohnbauten wie dem Irene-Harand-Hof in der Wiener Judengasse beauftragt. Ihr Lohn, das erzählte sie viele Jahre später, war kurz nach dem Krieg eher „mickrig“ – gerade einmal 500 Schilling im Monat. Und das für eine Sechstagewoche.

Für die junge Architektin gab es in diesem männerdominierten Umfeld vorerst nur langweilige Aufgaben wie das Anfertigen von Detailzeichnungen für Fenster und andere Bauelemente. Aber eines Tages trat ihr Chef vor seine Mitarbeiter, sprach über einen neuen Auftrag für die Wiedererrichtung des traditionellen Prater-Gasthauses Zum Walfisch. Er erzählte von seinem gestalterischen Konzept und von einem Wal, der künftig über dem Eingang thronen sollte. „Und diesen Wal zeichnen Sie!“

Was für eine Abwechslung. Viele Jahre später, in den 1990er-Jahren, erzählte unsere Mutter dem damaligen Studenten Stefan Plischke, der eine Diplomarbeit über die architektonischen Arbeiten des Ateliers Waage-Kastner (später Waage-Kroupa) verfasste, wie glücklich sie in diesem Moment war. Sie hatte in der Meisterklasse von Franz Schuster studiert, hatte ein sensibles Gespür für Formen und Dimensionen entwickelt. Nun endlich konnte sie all das anwenden.

Sie ahnte damals freilich nicht, dass sie ein berühmtes und von vielen Wienerinnen und Wienern geliebtes Wahrzeichen erschaffen würde, das 73 Jahre später in das Museum der Stadt einziehen sollte. Sie wurde zur Walfängerin, hat das riesige Tier zuerst zeichnerisch festgehalten, dann die Herstellung vorbereitet. Für ihren Entwurf musste sie Bilder von Walen studieren, suchte sich zwischen Pottwal, Orca, Blauwal und weiteren Gattungen den geeigneten heraus. Am ehesten ähnelte schließlich das riesige Meerestier mit seinem offenen Maul und den aus Blech geformten Barten einem Grönlandwal.

Die junge, damals 25-jährige Architektin musste auch alle Detailzeichnungen anfertigen. Das Skelett aus Holz wurde von ihr geplant, mit vielen Schnitten und allen Maßen ausgearbeitet, damit es exakt hergestellt und anschließend mit einer Kupferblechhaut überzogen werden konnte. Zuletzt musste dafür gesorgt werden, dass die Augen durch zwei Glühlampen leuchteten und ein Wasserschlauch eingeleitet wurde, damit der Wal stündlich Fontänen von Wasser aus seinem Blasloch am Hinterkopf sprühen konnte. Die Herstellung des Wals übernahm der Restaurateur Alois Robert Mucnjak, der ebenfalls an der Akademie für angewandte Kunst studiert hatte.

Gebaut wurde der Wal in der leeren, von Bombenangriffen beschädigten Schwarzspanierkirche. Sie hatte in Zeiten des Nationalsozialismus als Kirche für evangelische Wehrmachtsangehörige gedient. Bevor das Restaurant Zum Walfisch 1951 wiedereröffnet wurde, musste die fertiggestellte, nun 9,2 Meter lange und 1,4 Tonnen schwere Tierskulptur von der Schwarzspanierstraße mit einem von zwei Lkw bewegten Tieflader am Messepalast vorbei über den Karlsplatz in den Prater transportiert werden. Es war ein Spektakel, dem viele Wienerinnen und Wiener beiwohnten und das in einem Werbefilm der Brauerei Gösser festgehalten wurde.

Architektin Maria Benke mit einem Kollegen in den 1950er-Jahren.
Architektin Maria Benke mit einem Kollegen in den 1950er-Jahren.(c) Fam. Böhm

Durchbruch für größere Aufgaben. Ob sie den Transport vom Atelier Waage-Kroupa im Dachgeschoß in der Operngasse aus mitverfolgen konnte, ist zu bezweifeln. Ihr Kunstwerk war fertiggestellt. Sie erzählte einmal, dass es nicht üblich war, die selbst geplanten Objekte zu besichtigen. Nur einmal hatte Fritz Waage, ihr Chef, sie mit dem Auto zu einem der fertigen Häuser mitgenommen. Die Atmosphäre im Büro war streng. Es durfte nicht einmal Radio gehört werden. Und wenn zu viel geplaudert wurde, gab es Zurechtweisungen: „Wir sind hier nicht in einem Kaffeehaus!“

Nach der erfolgreichen Planung des Wals wurden ihr endlich größere Projekte zugeteilt, wie etwa die Bauleitung für die Villa Ploss am Türkenschanzpark. Nach der Geburt ihrer Tochter 1954 wechselte sie dennoch zur Monatszeitschrift für den Wiederaufbau „Der Aufbau“, die sich mit städtebaulichen Themen beschäftigte. Später plante sie noch zahlreiche Häuser – vorwiegend Einfamilienhäuser – für das Bauunternehmen ihres Mannes. Auch hier standen klare Formen und Dimensionen im Mittelpunkt.

Es war ein weiter Weg von der Kindheit in Ottakring bis zur Architektin. Sie wuchs in der Zwischenkriegszeit in der Haberlgasse auf, wo sich auch eine Lusterwerkstatt ihrer Familie befand. Nach der Trennung ihrer Eltern zog sie mit ihrer Mutter in den Reumannhof, einen eben erst fertiggestellten Gemeindebau in Wien Margareten. Oft erzählte sie, wie schwer es als Jugendliche war, ihren eigenen Weg zu gehen, abends länger auszubleiben, Freunde zu treffen. Sie versuchte immer wieder, aus den engen Familienverhältnissen auszubrechen. Letztlich setzte sie gegen den Widerstand eines Teils ihrer Familie auch das Architekturstudium durch.

Die Studentenzeit war eine Befreiung für sie. Ihr erster eigener Weg. Doch kurz vor Kriegsende musste sie die Ausbildung unterbrechen. Sie wurde zum Heeresdienst der Nationalsozialisten eingezogen. Es war eine letzte Mobilmachung, ein Volkssturm ohne Chance, den sie mit Glück überlebte. Als sie an die „Angewandte“ zurückkehrte, hatte sich die Aufgabestellung der künftigen Architektinnen und Architekten grundlegend gewandelt. Repräsentation als Selbstzweck war nicht mehr gefragt. Es ging jetzt um den Wiederaufbau, um günstiges, effizientes Bauen. Gerade diese Zielsetzung faszinierte sie: die klare Formgebung dieser Zeit, der reine Funktionalismus. In der Meisterklasse für Architektur lernte sie ihren späteren Mann, Ernst Böhm, kennen. Sie stiegen gemeinsam auf Berge, machten Ausflüge mit dem Motorroller. Wenige Jahre später plante sie ihr gemeinsames Haus, das mit minimalen Mitteln und viel eigener Arbeit errichtet wurde. Dort sollten die beiden bald mit uns drei Kindern leben. In den 1960er- und 1970er-Jahren wurden von hier am Stadtrand aus mehrere Familienausflüge in den Prater unternommen. Wie oft gingen wir damals unbewusst an ihm vorbei? Sie hat nie mit ihm geprahlt. Erst kurz vor ihrem Tod 1998 erzählte sie auch uns, wie gern sie ihn damals – in den 1950er-Jahren – geplant hatte: ihren Wal.

Wien Museum

Als 2013 das Prater-Restaurant Zum Walfisch abgerissen wurde, sollte der Wal eigentlich recycelt werden. Der Besitzer des Abrissunternehmens fasste sich ein Herz und rettete ihn. Mehrere Jahre lagerte er auf dem Firmengelände, bevor er von der Restauratorin Regula Künzli in einer Halle in Himberg liebevoll saniert wurde.

Ab 6. Dezember ist der Wal – es ist kein Walfisch – als größtes Objekt der Dauerausstellung im neuen Wien-Museum zu sehen. Der Praterwal, der jetzt Poldi heißt, soll das Maskottchen des neu adaptierten Hauses werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2023)

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