Microlino

Einstieg zum Umstieg

(c) Juergen Skarwan
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Die Welt hat kein Herz für kleine Autos. Aber kennt sie Microlino schon?

Die Schweiz ist bekannt als Automarkt, in dem traditionell die feiner ausgestatteten und, Europas strengsten Tempolimits zum Trotz, stärker motorisierten Ausführungen bevorzugt werden.
Als Heimat einer starken Autoindustrie ist das Land bislang nicht aufgefallen. Nennen wir ehrenhalber den Schweizer Louis Chevrolet, der um das Jahr 1900 in die USA auswanderte und dort die recht bekannte Automarke gründete. Dann fiele uns Rinspeed ein: Frank M. Rinderknechts Prototypen und Konzepte quergedachter Autovisionen sind immer für Überraschungen gut.

»Microlino hat platz für zwei, erst recht, wenn man sich lieb hat und kuschelt.«

Nun kann man wohl den Namen Micro hinzufügen. Das von Wim Ouboter, Schweizer mit niederländischen Wurzeln, vor 25 Jahren gegründete Unternehmen war bislang auf ganz kleinen Rädern unterwegs, und das sehr erfolgreich: Der Tüftler hat den Tretroller – nun, nicht erfunden, aber in eine Form gebracht, die aus dem Kinderspielzeug ein Verkehrsmittel für kurze Wege machte. Und einen Millionen-Seller: Faltbar, aus Alu, mit kugelgelagerten Rädchen, massenweise in China produziert zu einer Zeit, als das noch nicht alle taten. Der Legende nach war Wim der Weg zu seinem Imbisskiosk, bei dem die Kumpels feierabends mit dem Bier warteten, zu kurz, um das Fahrrad zu satteln, aber zu lang zum Latschen. In weiterer Folge, nach sorgfältiger Entwicklungszeit, sollten sich zeitweise bis zu 80.000 seiner Micro-Tretroller verkaufen – pro Tag. Das Sortiment ist heute kaum überschaubar; gut 90 Mio. Exemplare der rollenden Gerätschaft haben sich in allen denkbaren Varianten in den Fuhrpark unserer Städte gemischt. Und Erfinder Wim, der aus seiner nur zeitweise beheizten Wohnung heraus arbeitete, könnte seine Tage längst bequem damit verbringen, das Familienvermögen zu verwalten. Stattdessen schlug er ein neues Kapitel auf.

Es trägt den Namen Microlino und ist mittlerweile die Angelegenheit der nächsten Generation: Am Steuer sind Wims Söhne Merlin und Oliver. Weil wir als regelmäßige Autoshow-Besucher die herzige Kugel seit Jahren verfolgen, eilten wir flugs nach Zürich, um eines der ersten Exemplare mit Straßenzulassung in Augenschein zu nehmen und durch Stadt und Umland zu bewegen. Zunächst: Ist der elektrische Microlino, der an BMWs Kabinenroller Isetta aus den Fifties erinnert, überhaupt ein Auto? Der Gesetzgeber nennt es L7e, was „vierrädrige Kraftfahrzeuge mit einer Leermasse bis 450 kg ohne Batterien und maximaler Nutzleistung bis 15 kW“ bezeichnet. Man denke an den elektrischen Twizy von Renault, der zu der Kategorie zählt – und sich bislang nicht durchsetzen konnte.

Als Microlino erstmals der Öffentlichkeit gezeigt wurde, auf dem Genfer Autosalon 2016, packte man ihm die Botschaft bei: „This is not a car.“ Es sollte ein Zwischending sein, für eine Mobilität, die sich zunehmend in Zwischenräumen abspielt, fragmentiert, würden Forscher sagen, und die ganze Sache war anfangs nur so halb ernst gemeint, mehr Marketingstunt für das Rollerbusiness.

Aber da hatte Merlin schon drei Monate seines jungen Lebens investiert: Er, der Jüngste, war nach China geschickt worden, um die händische Fertigung des ersten Prototyps zu beaufsichtigen, „ein Sprung ins kalte Wasser“. Als das Gefährt in Europa ankam, fiel es vom Gabelstapler aufs Dach und war kaputt. Ein Vorgeschmack auf Widrigkeiten, mit denen man es noch zu tun bekommen sollte.



Der Patron hätte es durchaus beim Showeffekt des Genfer Auftritts belassen können; ein weiteres, Jahre verschlingendes Großprojekt war in Wim Ouboters Lebensplanung nicht vorgesehen. Aber nun wollten Merlin und Oliver den Microlino nicht mehr loslassen. Man schien einen Nerv getroffen zu haben: Die Kleinserie von 500 Stück, die man auf dem Salon in Aussicht stellte, obwohl mit einstweilen nichts als einem mühselig reparierten Prototypen zur Hand, war binnen dreier Tage ausgebucht.

Kabinenroller in der Art des Microlino hatten schon einmal ihre Zeit – in den Nachkriegsjahren, als Material knapp und leistbare Mobilität gefragt war, die etwas mehr Komfort bot als ein Roller. In Deutschland kamen die Kabinenroller von Messerschmitt und Heinkel, BMW kam nur über die Runden, weil man die Isetta nach Patent des italienischen Kühlschrankherstellers Iso Rivolta produzierte.

Aber welchem Zweck sollte ein solches Fahrzeug heute dienen? Merlin legt Zahlen auf den Tisch: Durchschnittlich wird ein Auto von 1,2 Personen belegt, fährt 30 km/h schnell und nicht weiter als 35 Kilometer. „Für 95 Prozent seiner Anwendung over-engineered“, fasst er zusammen und erzählt von seinem Besuch des Genfer Autosalons 2015: „Überall waren SUVs ausgestellt.“

Auch die E-Mobilität bringe keine Abkehr, im Gegenteil, immer größer und schwerer werden die Autos. Merlin: „Der Microlino mit zwei Passagieren wiegt weniger als allein die Batterie eines Elektro-SUV!“
Günstig für die Marktchancen hat sich mittlerweile ergeben, dass Mercedes die Produktion des Smart eingestellt hat. Denn von dem Zweisitzer wurden allein in Rom bis zu 10.000 Stück im Jahr verkauft – schon für den Bedarf an einem Nachfolger empfiehlt sich Microlino, als Alternative mit wesentlich mehr Charme und Witz.

»Bei 60 km/h fängt das Getriebe zu singen an, doch das sei bereits kuriert, sagt Merlin. «

Dass es so lang gedauert hat, bis er nun mit Kennzeichen auf der Straße fahren darf, ist nicht zuletzt Zores mit einem deutschen Partner geschuldet, der sich den Microlino zu eigen machen und die Ouboters aus dem Geschäft drängen wollte. Den Streitfall klärte das Gericht im Sinn der Familie (Merlin: „ein verlorenes Jahr“). Es folgte der Neustart: „Microlino 2.0“.

Der ist jetzt am Start: 2,5 Meter lang, ebenso breit wie hoch, zu besteigen über eine Türe wie ein großer Kühlschrank. Die neu konstruierte Variante ist gereifter als frühere Versionen, mit selbsttragender Karosserie wie ein richtiges Auto. Wie viel Arbeit im Microlino steckt, deuten feingeschliffene Details an, zum Beispiel das Öffnen der Türe, die ja gleichzeitig Fahrzeugfront ist. Ein Knopf an der Seite gedrückt, und der Flügel schwingt auf, allein durch den Druck des hydraulischen Dämpfers, weit genug zum bequem Einsteigen. Nun steht man aufrecht da in Fahrtrichtung, greift die Schlaufe innen an der Tür und lässt sich, die Türe zuziehend, auf der Sitzbank nieder. Zum Schließen von außen klescht man das Ding nicht ins Schloss, sondern drückt es sachte an, worauf die Tür von einer Soft-Close-Automatik in die Verriegelung gezogen wird, nobel wie bei einer S-Klasse.

Der Microlino hat Platz für zwei auf der durchgehenden Sitzbank, es wird tendenziell kuschelig, vor allem in flott gefahrenen Kurven, in denen der Beifahrer nicht leicht Halt findet (die Schlaufe zum Festhalten ist vorderseitig statt am Dachhimmel angebracht – konstruktionsbedingt, sagt Merlin). Anders als in der originalen Isetta ist die Lenkradsäule feststehend und wandert nicht mit der Türe mit. Das ist stabiler und rüstet für kommende Airbag-Ausrüstung. Ein kleines schlaues Display zeigt an, was man wissen muss, für Musik und zum Telefonieren ist ein BT-Lautsprecher an Bord, den man mit dem Smartphone koppelt, das auch als Navi dienen soll. Heizung und Gebläse sind als kompakte Einheit in der Tür unter der Windschutzscheibe verbaut.

Trotz der minimalistischen Ausstattung fühlt man sich heimelig in der drolligen Kugel, die eine 1-a-Attraktion auf der Straße ist. Selten flogen uns so viele Blicke zu, Kussmündchen und Herzchen in den Augen inklusive. Als quasi Anti-SUV hat Microlino die Sympathien des auf eigenen Beinen wandelnden Volkes. Wie Autofahrer auf ihn reagieren, hängt davon ab, ob sie ihn für ein Verkehrshindernis halten. Doch das ist der Kleine in der Stadt nicht: Es drückt einem nicht den Kopf in den Polster, aber mit 19 Kilowatt Peakleistung, knapp 26 PS, eilt die Fuhre im Nu auf Stadttempo; für die Highspeed von 90 km/h braucht es ein bisschen mehr Anlauf. Doch auch auf einer sehr steilen Passage im Umland von Zürich ging uns nicht die elektrische Puste aus.

Fahrerisch ist nicht viel mehr zu tun als D drücken und aufs Fahrpedal steigen; der Schwerpunkt ist dank der bodennah verlegten Batterie (in drei Größen zu haben) tief, was zum agilen Fahrgefühl beiträgt. Die einzige Beschwerde galt dem Getriebe, das vom Renault Twizy stammt und bei 60 km/h unangenehm zu singen begann (was sich bei höherem Tempo wieder legte). Merlin erklärte das Thema für erkannt und in anderen Exemplaren bereits behoben, wie auch viele andere Verbesserungen in die laufende Produktion einfließen beziehungsweise nachgerüstet werden können.

Anders als bei den Tretrollern hat China kaum Anteil an der Produktion: Gefertigt wird in Turin, die Batterie stammt aus Deutschland, der Elektromotor aus Italien; die Wertschöpfung liege zu „85 bis 90 Prozent“ in Europa, sagt Merlin. Nach allen Coronazores sollte sich das Werk langsam einschwingen, und im zweiten Halbjahr will man Microlino Österreich zeigen.

(c) Juergen Skarwan

Republik Kugelmugel

„Platz für zwei Personen und drei Bierkisten“ verspricht der Hersteller. Die moderne, selbstredend elektrische Interpretation des klassischen Kabinenrollers wie der BMW Isetta ist spaßig zu fahren und klein genug zum Querparken. Ob er das dürfen wird, will Micro notfalls ausjudizieren.

Name: Microlino
Preis: ab 15.200 Schweizerfranken
Antrieb: Elektro an der Hinterache
Leistung: 12,5 kW (19 kW Peak)
Gewicht: 495-530 kg (je nach Akku)
0–50 km/h: 5 Sekunden
Vmax: 90 km/h
Akku: 6, 10.5 oder 14 kWh
Reichweite: real bis 120 km

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