Österreich bleibt vorerst bei seinem Veto gegen die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien in den Schengen-Raum. Ist das fair? Wird der Kanzler noch umschwenken? Und: Was bewirkt das Veto? Diskutieren Sie mit!
Die Aufregung war groß, als die österreichische Regierung im Dezember ein Veto gegen die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den Schengen-Raum einlegte. Doch das Veto bleibt vorerst. Das machte Kanzler Karl Nehammer auch an der EU-Außengrenze klar, die er nun bei einem Besuch bei Bulgariens Präsident, Rumen Radew, besichtigte. Auch „Presse"-Außenpolitikchef Christian Ultsch war dabei, als sich Nehammer gemeinsam mit Innenminister Gerhard Karner ein Bild machte.
Bei dem Treffen verhehlte Radew nicht, dass der Migrationsdruck im vergangenen Jahr enorm zugenommen hat. Das zeigt sich auch im Binnenland Österreich: Mehr als 100.000 Menschen haben hier 2022 einen Asylantrag gestellt. 35.000 illegale Migranten sollen laut Angaben des Innenministeriums über Bulgarien und Rumänien und dann weiter über Ungarn nach Österreich gelangt sein.
Die Schengen-Zone sollte die Aufhebung der Grenzen innerhalb der EU ermöglichen, indem die Außengrenze effizient geschützt wird. Doch dieses System funktioniere eben nicht, wie Nehammer und Karner betonen.
Der Verdacht ihrer Kritiker: innenpolitisches Kalkül. Denn in Niederösterreich wird am 29. Jänner gewählt. Oliver Grimm, Korrespondent der „Presse“ in Brüssel, mutmaßte daher schon Ende 2022: „Sobald die niederösterreichische Landtagswahl hinter uns ist, wird der Kanzler eine Kehrtwende in Sachen Schengen-Beitritt Bulgariens und Rumäniens einleiten müssen“. Seine Prognose: Bei einem Sondergipfel im Februar zur Migrationskrise könnte dies öffentlichkeitswirksam geschehen. Und: „Bulgarien und Rumänien werden Schengen-Mitglieder werden. Vermutlich noch vor dem nächsten Sommer. Darauf würde ich beinahe wetten.“
Wie groß der diplomatische Schaden für Österreich sein wird, darauf will Grimm lieber nicht wetten. Viele Österreicher haben sich empört über die Entscheidung geäußert. Der Tenor: Innenpolitik sei wieder einmal wichtiger als die Außenwirkung. Andreas Treichl, Präsident des Europäischen Forums Alpbach, sagte etwa im „Presse"-Interview, das Veto sei „verstörend und nicht nachvollziehbar“.
Innenminister Karner meinte dagegen im Interview Oliver Pink und Ulrike Weise: „Wir brauchen einen technisch und rechtlich funktionierenden Außengrenzschutz.“ Und der sei eben nicht gegeben. Die EU müsse hier rechtliche Grundlagen schaffen, das könne eine Chance für Bulgarien sein.
Karl-Peter Schwarz schreibt in der Kolumne „Quergeschrieben“, Rumänien habe bereits 2011 alle Voraussetzungen für den Schengen-Beitritt erfüllt. Das Grenzüberwachungssystem sei auf dem neuesten Stand. Und: "Unumstritten ist, dass die Mehrheit der Migranten über den Westbalkan nach Norden zieht. Wenn überhaupt, wäre eher ein Veto gegen die Aufnahme Kroatiens angebracht gewesen. Aber es fahren halt mehr Österreicher an die Adria auf Urlaub als ans Schwarze Meer.“ Eine Systemänderung in der EU sei zwar nötig, aber Österreich könne sie auf diesem Wege nicht erzwingen.
Das Urteil von Wolfgang Böhm, Leiter des EU-Ressorts der „Presse“, fällt auch wenig schmeichelhaft aus: „Mit der Schengen-Blockade zeigt die Regierung, wie eindimensional sie auf EU-Ebene agiert – ohne konstruktiven Ansatz, ohne Idee und Kommunikation."
(sk)
Diskutieren Sie mit: Wie sinnvoll ist Österreichs Schengen-Veto in der Debatte um die Migration? Können Sie die Argumentation der Regierung nachvollziehen? Wie groß ist der diplomatische Schaden? Und: Ist es fair gegenüber Bulgarien und Rumänien?