Theaterkritik

Kammerspiele: Früher Brecht, alles zerbricht

Moritz Schell
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Schon wieder eine gelungene gescheite Komödie in den Kammerspielen des Theaters der Josefstadt: Philipp Tiedemann inszeniert Brechts „Kleinbürgerhochzeit“ als virtuose Zerstörung.

Schadenfreude ist die beste Freude. Vor allem in ihrer lautersten Form: ohne Bosheit, sondern als Freude am Schaden an sich, darüber, dass alles, was besteht, zugrunde geht. „Was ist komisch?“, fragt in Brechts „Kleinbürgerhochzeit“ ein Gast. „Alles! Alles!“, antwortet seine Frau: „Die kaputten Stühle, der eigene Hausstand! Die Unterhaltung!“ „Lacht furchtbar“, steht in Brechts Regieanweisung, das tut Michaela Klamminger, die die Frau spielt, und ein guter Teil des Publikums tut's auch.

Ums furchtbare Lachen, ums Lachen darüber, dass die Fassade einstürzt, dass die Bretter, die die Welt bedeuten, zerbrechen: Darum geht's in diesem Stück des 21-jährigen Bert Brecht, der darin die bürgerliche Welt seiner Herkunftsfamilie, aus der er weg wollte, erstens zu einer kleinbürgerlichen degradierte und zweitens zu Kleinholz machte. Das ganz wörtlich: Bei diesem Hochzeitsmahl zerbrechen peu à peu alle Möbel, die der stolze Bräutigam selbst gefertigt hat. Das ist die so schlichte wie geniale Mechanik dieser Komödie. Dass sie in den Kammerspielen der Josefstadt überzeugend abläuft, verdankt sich zunächst einmal Bühnenbildner Alexander Martynow: Er hat alles Mobiliar so aus dünnem Holz gebaut, dass es zielstrebig kaputt geht, aber nicht zu rasch. Das muss so sein. Wenn die Welt auf einmal einstürzt, nennt man das Katastrophe; wenn sie's allmählich tut, Komödie.

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