Junge Forschung

Bakterien gehören zum Essen dazu

An Vorarlberger Bergkäse und anderen Milchprodukten erkundet Evelyne Selberherr die Mikroben auf und in Lebensmitteln: hier an der Vet-Med-Uni Wien.
An Vorarlberger Bergkäse und anderen Milchprodukten erkundet Evelyne Selberherr die Mikroben auf und in Lebensmitteln: hier an der Vet-Med-Uni Wien.Clemens Fabry
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Bestseller befassen sich mit den Mikroben im Darm. Doch auch Lebensmittel haben ein Mikrobiom. Evelyne Selberherr forscht, was das für die Produkte und Menschen bedeutet.

Wir leben mit Milliarden von Mikroorganismen. Sie sind in uns, auf uns, um uns und teilen sich den Lebensraum mit uns.“ Wenn Evelyne Selberherr das sagt, klingt das für den einen oder die andere vielleicht befremdlich. Doch das Mikrobiom, also die Gesamtheit der Mikroorganismen, umfasst mehr als nur Krankheitserreger. Die Veterinärmedizinerin beforscht Mikroben, weil sie für Menschen, Tiere, Umwelt und die Lebensmittelproduktion eine große Rolle spielen: „Wir werden im täglichen Leben stark von Mikroben beeinflusst, bekommen das aber nur selten mit, weil wir sie nicht sehen.“

Der Fokus von Selberherrs Arbeitsgruppe an der Veterinärmedizinischen Universität Wien liegt auf dem Lebensmittelmikrobiom, also den Mikroorganismen in und auf Lebensmitteln. „In der Lebensmittelproduktion werden Mikroben oft schon in der Primärproduktion eingetragen. Die mikrobielle Dynamik während der Weiterverarbeitung ist von großer Bedeutung, da zum Beispiel Geschmack und Konsistenz von Mikroben beeinflusst werden. Auch wie lang Produkte haltbar sind, hängt vom Mikrobiom ab“, fasst Selberherr zusammen.

Die Mikroben an ihrer DNA erkennen

Natürlich untersuchen die Forschenden auch das Vorkommen krank machender Bakterien, aber ihr Hauptinteresse gilt der allgemeinen Identifikation der Mikroben. „Vereinfacht dargestellt identifizieren wir Mikroben aufgrund der genetischen Sequenz“, beschreibt die Forscherin.

„Wir holen die genetische Information aus den Mikrobiomen heraus, und diese DNA-Sequenzen werden dann vervielfältigt. Durch moderne Sequenzierungstechniken können wir Rückschlüsse ziehen, welche Mikroorganismen das sind.“ Dieser technische Fortschritt bei DNA-Sequenziermethoden half der Mikrobiom-Forschung in den vergangenen Jahren zu großen Fortschritten. Das Gebiet ist nicht nur wegen der Beeinflussung des menschlichen Darmmikrobioms durch Lebensmittel und deren Mikrobiota interessant. Auch für das Verständnis, wie Mikroben zu den Eigenschaften eines Produkts oder zur Verbesserung der Qualität von Lebensmitteln beitragen, ist die Forschung von Selberherrs Team unerlässlich.

Weltweit werden über eine Milliarde Tonnen Lebensmittel pro Jahr weggeworfen, zum großen Teil wegen mikrobieller Kontaminationen, die schon während der Produktion stattfinden. „Es besteht großes Potenzial, hier entgegenzuwirken“, so Selberherr, „Wenn man weiß, welche Mikroben in den Betrieben gehäuft vorkommen, kann man gezielt Vorkehrungen treffen, um Rekontaminationsereignisse zu vermeiden. Auch die Einhaltung der Kühlkette und Konsumentenaufklärung spielen eine große Rolle.“

Wie komplex ein Lebensmittelmikrobiom sein kann, zeigt die Forschung am Vorarlberger Bergkäse, der nach einem über Jahrhunderte standardisierten Prozess produziert wird. „Käsereifung und die damit verbundenen mikrobiellen Dynamiken entsprechen einer Mikroevolution, das Mikrobiom muss sich während der Reifung etablieren“, sagt Selberherr.

Handliche Geräte begeistern an Schulen

In einem Sparking-Science-Projekt, gefördert vom Wissenschaftsministerium, bringt Evelyne Selberherr ihre Forschung auch in Schulen. „Es gibt inzwischen handliche Geräte, mit denen man in einem sehr kleinen Rahmen in Echtzeit sequenzieren kann. Mikrobiombestimmungen vor Ort selbst zu machen ist für die jungen Leute sehr attraktiv“, erzählt Selberherr vom Start der Zusammenarbeit mit fünf österreichischen höheren Lehranstalten im Herbst 2022.

Denn ein großes Ziel der passionierten Musikerin, die ihre Freizeit am liebsten mit ihren zwei Kindern und ihrer Country-Band Danube Candy verbringt, ist es, die Mikrobiomforschung nach außen zu tragen und in der Bevölkerung ein besseres Verständnis für das Zusammenleben mit Mikroben zu schaffen. Denn: „Man muss sich vorstellen, dass es in einer Hand voll Erde mehr Mikroorganismen als Menschen auf der Erde gibt. Mikrobiome sind einfach omnipräsent.“

Zur Person

Evelyne Selberherr (38) ist Leiterin der Mikrobiom-Arbeitsgruppe an der Vet-Med-Uni Wien. Nach einem Jahr an der University of Arizona forscht sie seit 2015 in Wien am Lebensmittelmikrobiom. Mit dem Sparkling-Science-Programm bringt sie ihre Forschung auch in Schulen. Als Vorstandsmitglied der österreichischen Mikrobiom Initiative (Amici) organisiert sie das jährliche Mikrobiom-Symposium mit.

Alle Beiträge unter: www.diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2023)

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