Der Mensch will akzeptiert und bestätigt sein.
Spectrum

Jeder ist sein eigener Identitätsschneider

Identität ist genauso wie sein bürokratisches Gegenstück, der Personalausweis oder der Pass, historisch besehen sehr jung. Dass er sich fragen muss, wer er denn sei, ist das Schicksal des modernen Menschen – Entlastung und Last zugleich.

So viele Worte für das scheinbar Gleiche oder Ähnliche: ich, mich, Selbst, Individuum, oder eben Identität. Ich bin. Ich bin etwas. Ich bin wer. Ich bin ich. Dieses „Ich bin“ gibt es zwiefältig: tautologisch, also ganz abstrakt, und prädikativ, mit vielen Eigenschaften und Prädikaten: Es macht einen Unterschied, wer oder was ich bin. Einmaligkeit, innere Einheit, unveränderliche Gleichheit mit sich selbst sind dabei immer im Spiel.

Ich bin etwas: männlich, weiblich; heterosexuell oder homosexuell; schwarz, weiß; Abteilungsleiterin oder Hilfsarbeiter; christlich, muslimisch, agnostisch; links oder rechts; jung, alt. Ich kann sportlich oder kunstinteressiert sein und die verschiedensten Formen von Ideologien oder Imagologien vertreten. Ich schreibe mir verschiedene Charaktereigenschaften zu bzw. sie werden mir auch auf den Leib geschnitten. Ganz schön viel auf einmal: Wenn ich meine Identitäten aufzuzählen beginne, vergehen mir Hören und Sehen, und ich weiß bei all den Prädikaten nicht mehr, wer ich bin. Ein umfängliches symbolisches Inventar zur Generierung meiner Identität steht mir zur Verfügung. Es gehört zum Schicksal des modernen Menschen, dass er nicht nur einer sichtbaren stofflich-materiellen, sondern auch einer symbolischen Hülle bedarf. Identität ist ein Symptom, Schicksal des modernen Menschen, der nicht mehr in eine als objektiv wahrgenommene Welt hineingeboren wird, sondern sein eigener Identitätsschneider ist. Entlastung und Last zugleich.

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