Hausfassade in Tirana, Albanien
Expedition Europa

Die bunten Fassaden von Tirana

Mit Robert Menasses „Die Erweiterung“ in Albanien – es gibt kein anderes Land, in dem so leidenschaftlich über Farben diskutiert wird.

Mit langen konzentrierten Kamerafahrten, Dunkelstimmungen und Unschärfen entfaltete dieser Kurzfilm einen suggestiven Sog. „Dammi i Colori“ („Gib mir die Farben!“), 2003 vom albanischen Künstler Anri Sala gedreht, zeigte Fassaden an einem von Arbeitern aufgegrabenen Boulevard. Jedes Fenster und jeder Balkon war frisch mit einer anderen Farbe ummalt, während im Off eine ruhige sonore Männerstimme sprach: „Die Stadt war vorher tot, sah wie ein Umsteigebahnhof aus.“ „Farbe hat einen Einfluss auf die Intensivierung des Atemrhythmus.“ „Es gibt kein anderes Land, in dem so leidenschaftlich über Farben diskutiert wird. Das heißeste Thema in Cafés, Wohnungen und auf den Straßen war – was machen die Farben mit uns?“ Gegen Ende verriet die Großaufnahme eines offenbar in einem weißen Mercedes sitzenden Riesen, wer da sprach: der Maler Edi Rama, von 2000 bis 2011 Bürgermeister von Tirana, seit 2013 Premierminister von Albanien.

Ich war neugierig, hob mir Tirana aber auf, bis jetzt. Um Edi Ramas Farbexperiment begannen sich über die Jahre Lobpreisungen und Legenden zu ranken: Eine ägyptische Eloge pries Tirana als Vorbild für Kairo, und es wurde kolportiert, ein EU-Beamter habe Rama öffentlich vorgeworfen, sein knalliger Farbmix widerspreche „europä-ischen Standards“. Nun wurde Edi Rama – Sozialist ohne Sozialpolitik und frankophoner Kosmopolit ohne Scheu vor nationalistischen Provokationen – auch noch zur literarischen Figur promoviert: Schlitzohrig-sympathisch treibt er die Handlung in Robert Menasses Europaroman „Die Erweiterung“ voran. Menasse verbreitet eine weitere Legende, als der Spindoctor im Roman zum Premier sagt: „Du bist doch Maler. Was liegt näher als dies: Du verteilst Farbkübel und sagst: Malt eure Häuser bunt an! Die Farbe kauft die Stadt bei Bojra dhe llaqe ylberi hier in Tirana, die Firma steht vor dem Konkurs. Du rettest die Firma, du rettest Arbeitsplätze, das Ganze kostet wahrscheinlich keine 900.000 Lek. (. . .) Das hatte tatsächlich funktioniert. Dann die Wiederwahl.“

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