Der ökonomische Blick

Steuermoral: Unternehmen an den Onlinepranger stellen?

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Aus Angst um ihren Ruf zahlen Firmen mehr Steuern, sobald die Veröffentlichung von Steuerdaten angedroht wird.

Die Bevölkerung und ihre Meinung sind ein starkes Machtinstrument. „Auf Druck der Öffentlichkeit“ treten Politikerinnen und Politiker zurück oder werden Unternehmensentscheidungen revidiert. Und auch durch ihre Kaufentscheidungen üben Bürgerinnen und Bürger Druck aus.

Ein guter Ruf in der Öffentlichkeit ist für Unternehmen also von enormer Bedeutung: Sie können so leichter qualifiziertes Personal gewinnen und profitieren von besseren Kundenbewertungen sowie erhöhter Kundenloyalität. Führungskräfte sind sich der Wichtigkeit eines guten Renommees ihres Unternehmens bewusst. Daher ist es auch erstaunlich, dass die Themen Steuervermeidung, Steuerhinterziehung oder auch die Nichtzahlung von Steuerschulden vom Management nicht primär mit dem guten Ruf in Verbindung gebracht werden. Sind die ökonomischen Vorteile aus diesen Aktivitäten so groß, dass die Unternehmensführung bereit ist, einen potenziellen Reputationsschaden zu riskieren? Oder vertraut man einfach darauf, dass die Öffentlichkeit aufgrund des Steuergeheimnisses nichts davon erfährt?

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Ab sofort liefert auch die seit 2019 in Wien ansässige CEU ("Central European University") Beiträge zum Blog. Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der „Presse"-Redaktion entsprechen.

Alle bisherigen Beiträge: www.diepresse.com/oekonomischerblick

Ein wirksames Instrument

Darauf, dass steuerliche Informationen der Öffentlichkeit unbekannt bleiben, können sich Unternehmen jedenfalls immer weniger verlassen. Weltweit gehen Steuerbehörden immer häufiger dazu über, steuerlich relevante Informationen offenzulegen und den Druck der Öffentlichkeit herzustellen, um Steuern durchzusetzen. Die Offenlegung von steuerlich relevanten Informationen sind in der Politik als Instrument der Steuerdurchsetzung umstritten. Es ist ein komplexes Thema, bei dem verschiedene Konsequenzen abgewogen werden müssen. Und erst in den letzten Jahren gibt es zur Steuerdurchsetzung durch die Offenlegung von Steuerdaten auch empirische Auswertungen.

Analysen zeigen, dass Unternehmen die Offenlegung steuerlicher Informationen scheuen. Wenn etwa nur die Daten von Firmen mit höheren Gewinnen veröffentlicht werden, versuchen Unternehmen, unter dem entsprechenden Gewinn-Schwellenwert zu bleiben und so der Veröffentlichung ihrer Daten zu entgehen. Wird die Offenlegung steuerlicher Informationen für alle Unternehmen eingeführt und lässt sich diese nicht verhindern, steigen die Steuerzahlungen der privaten Unternehmen.

Die Offenlegung von steuerlichen Informationen wirkt sich prinzipiell auf alle steuerzahlenden Unternehmen aus, egal, ob sich diese illegal oder legal verhalten. Daneben greifen Steuerbehörden in einigen Staaten gezielt nur solche Unternehmen heraus, die ihren Steuerverpflichtungen nicht nachkommen: Diese werden sozusagen öffentlich an den Pranger gestellt. Beispielsweise werden Unternehmen (und Individuen) in Slowenien namentlich im Internet genannt, wenn sie ältere Steuerschulden im Umfang von mehr als 5000 Euro auflaufen lassen.

Unsere Untersuchungen zeigen, dass bereits die Androhung dieses Onlineprangers dazu führt, dass säumige Steuerpflichtige ihre Steuerschulden in großem Umfang begleichen. Managerinnen und Manager von Unternehmen, bei denen der befürchtete Reputationsverlust am größten ausfallen dürfte, reagieren am stärksten auf die Androhung einer öffentlichen Kompromittierung. Dabei handelt es sich vor allem um große Konzerne sowie um Unternehmen, die vornehmlich den heimischen Markt oder Endkundinnen und Endkunden, also nicht andere Unternehmen, beliefern. Der Onlinepranger hat sich damit als sehr wirksames Instrument der Durchsetzung von Steuerschulden herausgestellt.

Bevölkerung als Quelle

In den aufgeführten Beispielen nutzt die Finanzverwaltung den Druck der Öffentlichkeit, indem sie Daten von steuerpflichtigen Unternehmen veröffentlicht, die ihr bereits vorliegen. Um auch neue Informationen zur Steuerdurchsetzung zu erzeugen bzw. um gezielte Steuerhinterziehung aufzudecken, setzen viele Staaten inzwischen auf die Bürgerinnen und Bürger als Informationsquelle. In Griechenland gibt es beispielsweise seit dem Jahr 2022 eine App, die die Echtheit von Kassenbelegen prüft. Nutzt die Bevölkerung die App und meldet gefälschte Belege, winken Belohnungen von bis zu 2000 Euro. Im deutschen Baden-Württemberg wurde eine Onlineplattform für anonyme Hinweise auf Steuerhinterziehung eingerichtet, zum Beispiel durch Mitarbeitende in steuerhinterziehenden Unternehmen. Und in Brasilien werden Konsumentinnen und Konsumenten durch eine staatliche Lotterie, in der Quittungen als Lose dienen, implizit zu Steuereintreibern an der Ladenkasse.

Die Erfahrungen der Steuerbehörden mit diesen neuen Instrumenten sind positiv: In Griechenland zeigt eine hohe Quote an gemeldeten gefälschten Quittungen bereits den Erfolg der neuen App. Und auch in Brasilien sind die gemeldeten Umsätze der Unternehmen aufgrund der staatlichen Lotterie gestiegen. Es ist daher davon auszugehen, dass der Staat die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung verstärkt einsetzen wird, um auf anderen Wegen Informationen über die Geschäftstätigkeit von Unternehmen zu erhalten und zur Steuerdurchsetzung einzusetzen.

Die Autorin

Nadja Dwenger (* 1981) ist seit 2015 Professorin für Finanzwissenschaft an der Universität Hohenheim (Stuttgart) und seit dem Jahr 2021 assoziierte Professorin am Chr. Michelsen Institute, Norwegen. Mit einem Schwerpunkt auf Steuerdurchsetzung und die Finanzverwaltung erforscht sie empirisch die Auswirkungen von Steuerpolitik.

Nadja Dwenger
Nadja Dwenger

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2023)

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