Wiener Uni: Heftige Debatte über Antisemitismus

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Historiker Moshe Zuckermann, Leiter der Wiener Freud-Stiftung, spricht in seinem Buch von einem „Totschlag-Ideologem“. Kritiker werfen ihm vor, er begebe sich in die Nähe von Antisemiten.

„Sie machen sich mit Nazis gemein!“ „Wer ist dafür verantwortlich?“ Wilde Zwischenrufe fielen bei einer ungewöhnlich heftigen Debatte im Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien. Der Seminarraum des Instituts war hoffnungslos überfüllt, und die Stimmung war von Beginn an geladen: Es ging um „Antisemitismus!“, ein 2010 erschienenes Buch von Moshe Zuckermann, Professor für Geschichte und Philosophie an der Uni Tel Aviv, seit 2010 wissenschaftlicher Leiter der Sigmund-Freud-Privatstiftung in Wien.

Zuckermanns These: Der Vorwurf des Antisemitismus und die „Instrumentalisierung der Schoah-Erinnerung“ dienten „israelisch-jüdischen Lobbys“ als „Totschlag-Ideologem“, als „Instrument, ihre Gegner mundtot zu machen“. Damit würde die israelische Politik u.a. von der „Besatzungsbarbarei“ ablenken, von „Alltagsrassismus“, den Zuckermann in Israel sieht. Vor allem von den Deutschen, die an den Juden Ungeheures verbrochen haben, werde diese Strategie nur allzu leicht akzeptiert: Sie hätten, so Zuckermann, „,Juden‘ zu ihrem psychohistorischen Fetisch erhoben“ und gehorchten der Maxime „Right or wrong, their country“. So wollten sie „an Israel gutmachen, was sie an den Juden verbrochen haben“. Arabischer Antisemitismus sei etwas ganz anderes, habe mit europäischem Antisemitismus nichts zu tun.

Zuckermann selbst ist der Sohn polnischer Holocaust-Überlebender. Er wolle mit seiner „Diskursanalyse“, wie er das Buch nennt, auch helfen, das Gedenken an die Schoah zu bewahren, sagte er bei der Diskussion. Mit Begriffen wie „struktureller Antisemitismus“ und durch die Vermengung mit dem Begriff „Antizionismus“ werde der mörderische Judenhass gefährlich relativiert. Es könne der Gesellschaft gehen wie dem Mädchen im Märchen, das so lange „Wolf!“ schreit, bis sie niemand mehr ernst nimmt, wenn der Wolf wirklich kommt.

Scharfe Kritik am Promedia Verlag

Wegen seiner Thesen werde er absurderweise als Antisemit bezeichnet, beklagte Zuckermann, oder ihm werde „jüdischer Selbsthass“ unterstellt. Zumindest begebe er sich fahrlässig in die Nähe von Antisemiten, meinten etliche Kritiker im Saal. Sie werfen Zuckermann vor, dass sein Buch im linken Promedia Verlag erschienen ist, dem sie antisemitische Tendenzen attestieren. „Nazi-Verlag!“, rief einer gar. Konkret wird dem Verlag vor allem ein Buch namens „Blumen aus Galiläa“ vorgeworfen, das in einer Publikation des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes als „antisemitisches Machwerk“ bezeichnet wurde.

Koreferentin Margit Reiter (Uni Wien), die 2001 ein viel beachtetes Buch über die Beziehung der österreichischen Linken zu Israel („Unter Antisemitismus-Verdacht“) veröffentlicht hat, versuchte zu vermitteln: Ihre Aussage, der politische Mainstream in Österreich sei „tendenziell israelkritisch“, provozierte bei den Anhängern Zuckermanns aber wieder heftigen Widerspruch.

Immerhin sei löblich, dass die Veranstaltung überhaupt stattfinden konnte, meinte eine von diesen; Vorträge der jüdischen Israelkritiker Noam Chomsky und Norman Finkelstein seien ja behindert oder gestört worden. Vor der Tür, wo die Debatte noch lange toste, fand ein Kritiker Zuckermanns zu einer Replik: Dass dieser in Israel lehren dürfe, zeige, dass dort sehr wohl Meinungsfreiheit herrsche. In arabischen Ländern sei Entsprechendes kaum vorstellbar. tk

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2011)

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