Gastkommentar

Amerikas Demokratie ist im Interesse der Welt

(c) Peter Kufner
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Ob die USA auch in Zukunft eine so große und einflussreiche Rolle in der Welt spielen werden, ist zunehmend ungewiss.

DER AUTOR

Richard N. Haass (* 1951) war Direktor der Planungsabteilung im US-Außenamt und Mitarbeiter des seinerzeitigen Außenministers Colin Powell. Er hatte auch Posten im Pentagon und im Senat inne. Seit Juli 2003 ist er Präsident des Council on Foreign Relations. Zuletzt erschien: „The Bill of Obligations: The Ten Habits of Good Citizens“ (Penguin Press, 2023).

Über ein Dreivierteljahrhundert lang haben die Vereinigten Staaten eine ungeheuer große, konstruktive Rolle in der Welt gespielt. Es hat sicherlich schwere Fehler gegeben, wie den Vietnam-Krieg und den Irak-Krieg 2003, aber in den meisten Fällen haben die USA ihre Sache gut gemacht.

Die Ergebnisse sprechen für sich. Der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg erwies sich als entscheidend. Zum Teil auf amerikanisches Drängen hin fand die Kolonialzeit ein rasches, wenn auch nicht immer friedliches Ende. Und die Schaffung einer auf Bündnissen beruhenden Nachkriegsordnung trug dazu bei, dass der Kalte Krieg kalt blieb und unter Bedingungen endete, die mit den westlichen Interessen und Werten vereinbar waren. Eine Reihe von Institutionen und Politiken bildete die Grundlage für ein beispielloses globales Wirtschaftswachstum und eine Verlängerung der Lebenserwartung.

Doch die Fähigkeit der USA, weiterhin eine große und einflussreiche Rolle in der Welt zu spielen, ist zunehmend ungewiss. Einige Gründe haben nichts mit den Vereinigten Staaten zu tun, wirken sich aber dennoch auf ihre Stellung aus.

Neue Herausforderungen

Es gibt neue externe Herausforderungen. Auf die amerikanische Wirtschaft, die nach dem Zweiten Weltkrieg für die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung verantwortlich gewesen ist, entfällt heute nur noch ein Viertel. Die militärische Macht ist auf viele andere Länder und Gruppen verteilt. Energieressourcen und Bodenschätze sowie Produktionsstandorte, von denen die USA und andere Länder abhängen, sind weit verteilt. Diese Verteilung von Macht und Reichtum gibt anderen die Möglichkeit, sich dem Einfluss und der Macht der USA zu widersetzen oder ihnen entgegenzuwirken. Die Stellung Amerikas in dieser Welt ist alles in allem eine Vorrangstellung, aber keine Vorherrschaft.

Amerikas Fähigkeit, seinen Willen durchzusetzen, wird durch die Globalisierung noch weiter eingeschränkt. Ob Klimawandel oder Viruserkrankungen – die Vereinigten Staaten können sich nicht von den kostspieligen Folgen von Entwicklungen jenseits ihrer Grenzen abschotten oder im Alleingang Lösungen entwickeln. Weder Isolationismus noch Unilateralismus ist eine tragfähige Option.

Bedrohung innerhalb der USA

Die vielleicht größte Bedrohung für die globale Sicherheit und Stabilität geht jedoch von Entwicklungen innerhalb der USA aus; von den tiefen politischen und sozialen Spaltungen, die die Wettbewerbsfähigkeit des Landes, seine Fähigkeit, eine kohärente Politik zu gestalten und umzusetzen, und sogar seine Stabilität gefährden.

Zweifellos werden einige Leser und Leserinnen angesichts all der Schwierigkeiten, in denen die USA stecken, durchaus Schadenfreude empfinden, nachdem sie sich jahrzehntelang nach Amerikas Führung richten mussten. Doch diese Genugtuung wird nur von kurzer Dauer sein, denn in einer Welt, die manchmal gewalttätig und immer global ist, können und werden Amerikas Schwierigkeiten schnell zu ihren eigenen werden. Eine weitere Aushöhlung der amerikanischen Demokratie wird von antidemokratischen Regierungen anderer Länder genutzt werden, um ihre Unterdrückung der eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen und auszuweiten. Und in Ermangelung einer starken amerikanischen Wirtschaft werden die Volkswirtschaften anderer Länder langsamer wachsen, da ihre Exporte schleppend verlaufen.

Mehr Einfluss von Aggressiven

Schwächere und weniger vorhersehbare USA würden das Gefüge der Bündnisse ausfransen lassen, die, um effektiv zu sein, gegenseitige Unterstützung bieten müssen, die nahezu sicher zu sein hat. Ebenso würden Feinde in dem Glauben bestärkt, sie könnten ungestraft handeln. Das Ergebnis wäre eine Welt, in der es häufiger zu Konflikten kommt, in der moderne Waffen noch weiter verbreitet werden und aggressive Länder mehr Einfluss ausüben.

Außerdem würde es einem Amerika, das im Inneren abgelenkt und gespalten ist, an der Kapazität und am Konsens fehlen, eine Führungsrolle bei globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel zu übernehmen. Ohne amerikanische Ressourcen und Führungsstärke würde die ohnehin schon große Kluft zwischen diesen globalen Herausforderungen und den globalen Antworten nahezu sicher noch größer werden. Es gibt kein anderes Land oder keine andere Gruppe von Ländern, die bereit und in der Lage wären, Amerikas Platz auf der Weltbühne einzunehmen.

Die Frage ist also, ob die USA bald wieder festen Boden unter den Füßen haben und dem Land der vergangenen 75 Jahre ähneln werden. Es gibt einige beruhigende Anzeichen. Die wirtschaftliche und militärische Unterstützung der USA für die Ukraine ist robust. Die Ergebnisse der Zwischenwahlen im November 2022 waren insofern beruhigend, als viele der extremsten Kandidaten, die die größte Bedrohung für die amerikanische Demokratie darstellen, besiegt wurden.

Angriff auf das Kapitol

Doch es gibt auch weniger beruhigende Entwicklungen. Gerade haben wir den zweiten Jahrestag des Angriffs auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 erlebt, der beinahe die amerikanische Demokratie zerstört hätte. Niemand kann davon ausgehen, dass sich solche gewalttätigen Proteste nicht wiederholen werden. Und nun, da eine gespaltene Regierung erneut Realität ist, bleibt abzuwarten, ob ein demokratischer Präsident und Senat eine gemeinsame Basis mit einem republikanisch geführten Repräsentantenhaus finden können. Die ersten Anzeichen sind nicht gut, denn die neu ermächtigten Republikaner scheinen sich mehr auf Ermittlungen und Obstruktion zu konzentrieren als auf Gesetzgebung und Führung.

Unbequeme Tatsache

Winston Churchill hat einmal gesagt: „Man kann sich darauf verlassen, dass die Amerikaner immer das Richtige tun – nachdem sie alles andere ausprobiert haben.“ Dieses Diktum wird nun auf die Probe gestellt. Das Problem für die übrige Welt besteht darin, dass sie in erheblichem Maße von den Ereignissen in den USA betroffen sein wird, aber nur wenig oder gar keinen Einfluss auf die Entwicklungen dort nehmen kann. Diese unbequeme Tatsache lässt sich nicht vermeiden.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow. Copyright: Project Syndicate, 2023. www.project-syndicate.org

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2023)

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