Nach 20 Jahren

Investigativjournalist Grozev will Österreich verlassen

FILE PHOTO: Bellingcat report author Christo Grozev gives a press conference opposite the Houses of Parliament in London
FILE PHOTO: Bellingcat report author Christo Grozev gives a press conference opposite the Houses of Parliament in London(c) REUTERS (HANNAH MCKAY)
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Der Russland-Experte deckte etwa den Giftanschlag auf Nawalny auf. In Wien fühlt er sich nun nicht mehr sicher, sagte er dem "Falter": "Ich vermute, dass es in der Stadt mehr russische Agenten gibt als Polizisten".

Der bulgarische Russland-Experte und Investigativjournalist Christo Grozev will seine Wahlheimat Österreich verlassen, weil er selbst zum Ziel des Kremls geworden ist. Wien, fast 20 Jahre lang seine Heimat, sei für Grozev so gefährlich geworden, dass er zunächst nicht mehr hierher zurückkehren wird, berichtete der "Falter" am Mittwoch. "Ich vermute, dass es in der Stadt mehr russische Agenten, Spitzel und Handlanger gibt als Polizisten", zitierte ihn die Wochenzeitung.

Der 53-jährige Journalist, der seit 2015 für die investigative Website "Bellingcat" arbeitet, war im Dezember von Russland zur Fahndung ausgeschrieben worden. Internationale Berühmtheit erlangte Grozev, als er nach dem Giftanschlag auf den russischen Oppositionsführer Alexej Nawalny die Attentäter aufspürte. In einem unter falscher Identität geführten Telefongespräch konnte daraufhin Nawalny einen der Täter dazu bringen, die Durchführung des Giftanschlags zu schildern. Grozev war der Gruppe durch kreative datenjournalistische Ansätze, etwa die Verwendung von Flugpassagierdaten, auf die Schliche gekommen.

Grozev war außerdem an bedeutenden Bellingcat-Recherchen beteiligt, durch die unter anderem die drei Angeklagten für den Giftmordanschlag gegen Sergej und Julia Skripal 2018 identifiziert wurden. Identifiziert wurden auch zwei russische Offiziere, die für den MH17-Abschuss 2014 verurteilt wurden, und Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdiensts GRU, die hinter dem Umsturzversuch in Montenegro 2016 stehen.

Grozev nutzte für seine Recherchen das korrupte System

Bei seinen Recherchen habe er eine systemische Schwäche ausnutzen können, die Russland und seine Gesellschaft als Ganzes durchzieht, sagte Grozev: Korruption infolge schlechter Bezahlung. "Ich finde sie über Internetforen, in denen sie anbieten, was sie liefern können. Dann wird via Telegram über die genauen Inhalte und den Preis verhandelt, die Bezahlung erfolgt mit Bitcoin", erzählte Grozev dem "Falter".

Die von Russland erhobene Anklage sowie Warnungen aus Geheimdienstkreisen hätten Grozev veranlasst, die Rückkehr von seinem aktuellen USA-Aufenthalt in letzter Minute abzusagen, berichtete der "Falter". "Ich gelte als Krimineller, kann mich aber nicht verteidigen, weil ich nicht weiß, wogegen. Und: Offenbar wollen sie signalisieren, dass sie genau wissen, wo ich wohne."

Der Investigativjournalist hat sich nach Angaben der Wochenzeitung auf den Weg nach New York gemacht. Dort soll in ein paar Tagen die US-Premiere des Dokumentarfilms "Nawalny" des kanadischen Filmers Daniel Roher stattfinden, der für den Oscar nominiert wurde.

(APA)

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