Luftzwischenfall

Mutmaßlicher Spionageballon aus China über den USA enttarnt

A balloon flies in the sky over Billings
A balloon flies in the sky over BillingsChase Doak via REUTERS
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Riesige weiße Kugel am blauen Himmel über Montana und anderen nördlichen Regionen. Die US-Luftwaffe erkannte sie offenbar schon vor mehreren Tagen vor Alaska, aber am Donnerstag flog die Sache auf. Peking entschuldigte sich und spricht von einem „zivilen Ballon". Es weckt Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg.

„Ich dachte, das sei ein Stern. Oder ein UFO“, sagte der Augenzeuge Chase Doak aus Billings im US-Staat Montana zu US-Medien. Er dürfte damit nicht allein sein: Ein riesiger, enorm hoch fliegender Ballon, der offenbar schon seit Tagen über dem Nordwesten der USA kreuzt, sorgt im wahrsten Sinn des Wortes für Aufsehen. Das Militär identifizierte ihn als Spionageballon aus China.

Berichten zufolge hat die Kugel, die vom Boden aus am blauen Himmel sichtbar ist, die Größe von drei Bussen, auf Fotos erkennt man Sensoren unterhalb. Die Flughöhe wird nicht klar angegeben, soll aber viel größer sein als jene von Verkehrsflugzeugen (etwa zehn bis 15 Kilometer). Solche Ballons sowie strategische Aufklärungsflugzeuge fliegen typischerweise in mehr als 20 km Höhe. Der Mehrwert eines Spionageballons gegenüber Erdbeobachtung via Satellit ist indes zweifelhaft. Es könnte allerdings die elektronische Aufklärung, konkret das Abhören von Telekommunikation, erleichtern.

Peking räumte den Vorfall am Freitag ein und bedauerte ihn sogar. Es handle sich allerdings um einen „zivilen Ballon", der im Wind abgetrieben sei. In einem Kommentar in der KP-Zeitung China Daily hieß es fast hämisch, dass ein Versuch, die USA per Ballon auszuspähen, mit Technik der 1940er-Jahre hantieren würde, aber zugleich einen kontrollierten Flug übers Meer herstellen müsse. Das sei freilich unmöglich, Spionagevorwürfe gegen China daher lächerlich.

Der Ballon flog laut Simulationen über Japan, den Nordpazifik, die Aleuten, Alaska und Westkanada nach Montana, wo er am Donnerstag von Zivilisten erspäht wurde. Laut Berechnungen eventuell doch in unter 20 km Höhe. Der Wind trieb ihn zuletzt nach Südosten.

NOAA

Die Air Force erkannte ihn schon vor Alaska, er müsste auch im Langstreckenradar der kontinentalen Luftverteidigung Nordamerikas (NORAD) aufgefallen sein. Aber erst jetzt, wenige Tage vor einem geplanten Besuch von Außenminister Antony Blinken in China, platzte die Bombe. Blinken sagte die Reise dann auch am Freitag ab: Sie werde verschoben, hieß es, denn aktuell würde die Sache mit dem Ballon die Gespräche zu sehr überschatten. Dass die USA ihrerseits China auch aus dem All und mit Aufklärungsflugzeugen beobachten, ist freilich klar. 

Ein US-Beamter sagte, es sei nicht der erste solche Ballon über den USA. Das Phänomen ist also bekannt, nur hat man es bisher verschwiegen. Die Sache ist diesfalls besonders heikel: In Montana und anderen Staaten der nördlichen und zentralen US-Region, etwa North Dakota und Wyoming, sind Basen von Minuteman-Atomraketen und strategischen Bombern. Ein Abschuss des Luftgefährts wurde laut US-Regierung aber verworfen, da am Boden Menschen gefährdet sein könnten. Angesichts des dünn besiedelten Raumes klingt das seltsam.

Erinnerungen an Zweiten Weltkrieg

Der Vorfall weckt Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg: 1944/45 hatten die Japaner mehr als 9000 „Windschiff“-Ballonbomben Richtung USA gestartet. Die Flugzeit betrug aufgrund der herrschenden Winde in um die 10.000 Metern Höhe etwa drei Tage, dann klinkten sie eine Bombe aus. Bis zu 1000 dürften Amerika erreicht haben, nur etwa 300 wurden gesichtet oder am Boden gefunden, in vielen Bundesstaaten von Alaska über Kalifornien bis Michigan, zudem in Kanada und Mexiko. Sie sollten vor allem Waldbrände auslösen, was aber misslang - speziell wegen der Jahreszeit der Angriffe, dem Winter samt Rändern von Herbst und Frühling, wenn die Wälder also feucht sind.

Mehrere Ballone wurden von Flugzeugen abgeschossen oder im Meer gefunden. Ein mutiger Pilot konnte eine in extrem langsamen Flug mit einer speziellen Vorrichtung einfangen und heil zu Boden bringen. Der letzte Bomben-Ballon hob im April 1945 ab, die bisher letzte scharfe Ballonbombe fand man 1955 mit einer immer noch explosiven Fracht. 1992 fand man eine durch Verwitterung entschärfte Bombe in Alaska.

U.S. Army

Die Schäden waren jedenfalls gering. In Oregon starben sechs Zivilisten, als sie eine Bombe in einem Wald fanden und daran herumhantierten. Es gab allerdings einen gewissen verängstigenden Effekt auf die US-Bevölkerung. Der größte Erfolg - ein riesiger Zufall - war allerdings, als so eine Bombe im Staat Washington die Stromversorgung eines Reaktors des amerikanischen Atombombenprojekts unterbrach. Dank Notstromaggregat fand keine Kernschmelze statt. Die japanische Propaganda behauptete, dass es in den USA große Brände und Panik unter der Bevölkerung gebe. Im Rundfunk wurden 10.000 Tote gemeldet.

Englische Ballonbomben gegen Deutschland

Auch die Briten ließen, das ist weitgehend unbekannt, Ballonbomben gegen Deutschland fliegen (Operation Outward). Man kam per Zufall auf die Idee, nachdem im September 1940 ein Sturm Fesselballons in England losgerissen und nach Norddeutschland, Schweden und Dänemark geblasen hatte. Dort beschädigten sie Stromleitungen und sogar die Antenne des schwedischen Auslandrundfunks.

UK National Archives

Man baute also einfache, sehr billige Gasballons, mit Wasserstoff gefüllt. Als Nutzlast hatten sie Brandbomben oder lange Metallseile, um in Überland-Stromleitungen einen Kurzschluss zu verursachen. Letztlich wurden sagenhafte rund 99.000 Stück gebaut, sie flogen viel niedriger als die japanischen. Die Aktion begann im März 1942. Wenige Tage danach kamen Berichte über Waldbrände bei Berlin und in Ostpreußen. Einmal löste eine Stahlseil-Ballon durch einen Kurzschluss einen Großbrand in einem E-Werk bei Leipzig aus. Es wurde komplett zerstört. Die Einsätze endeten im September 1944.

Erfunden in Alt-Österreich

Erfunden wurden Ballonbomben in Österreich, nämlich 1848/49 von den Artillerieoffizieren Franz und Josef Uchatius aus Niederösterreich unter der Leitung von Generalmajor Franz von Hauslab (Wien). Sie waren etwas kleiner als heutige Heißluftballone, die Hülle aus Papier und mit Wasserstoff gefüllt. Eine langsam brennende Zündschnur, deren Länge je nach Umständen war, löste das Abwerfen einer Bombe aus.

Bei der Belagerung Venedigs 1849 wurden mehr als 110 davon bei passendem Wind am nahen Festland gestartet. Nicht allzuviele erreichten ihr Ziel, die Bömbchen waren mit nur etwa 15 Kilogramm Schwarzpulver auch recht klein, der Effekt mäßig. Die psychologische Wirkung war beträchtlich, aber sicher nicht der Hauptgrund dafür, dass Venedig im August aufgab. Österreichs Ballonbombenwaffe hatte danach ihr Ende. Uchatius' Ehrengrab befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 14 A, Nummer 35).

(ag./Greber)

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