Wort der Woche

Zukunftsszenarien sind zu optimistisch

So ausgetüftelt Zukunftsszenarien auch sein mögen: Sie werden stets von der Realität eingeholt – etwa vom Ausbruch von Kriegen – und sind daher zu optimistisch, so Forschende.

Vor einigen Jahren haben sich Forschende verschiedenster Fachgebiete zusammengetan und Szenarien für die Entwicklung der Welt im 21. Jahrhundert erstellt – die sogenannten Shared Socioeconomic Pathways (SSP). SSP1 („Taking the Green Road“) beschreibt eine nachhaltige Entwicklung der Welt; SSP2 („Middle of the Road“) projiziert den derzeitigen zögerlichen Verlauf der ökologischen Transformation in die Zukunft; SSP3 („A Rocky Road“) geht von einem erstarkenden Nationalismus und dem Zusammenbruch der globalen Kooperation aus; SSP4 („A Road Divided“) modelliert eine wachsende Ungleichheit in der Welt – samt stärker werdenden regionalen Konflikten; und SSP5 („Taking the Highway“) skizziert eine Zukunft, in der fossile Ressourcen ungebremst ausgebeutet werden.

Diese detailliert ausgearbeiteten Narrative dienten im jüngsten IPCC-Weltklimabericht dazu, die Entwicklung der künftigen CO2-Emissionen und die Wirkung möglicher Klimaschutzmaßnahmen abzuschätzen. Auf ihrer Basis wurden aber auch viele andere Parameter berechnet, wie etwa Bevölkerungsentwicklung, Urbanisierung, Landnutzung, Wirtschaftswachstum usw.

Allerdings: Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass solche Szenarien – so ausgetüftelt sie auch sein mögen – niemals die ganze Realität widerspiegeln können. Sie sind z. B. für externe Schocks, wie etwa Kriege, blind. Dass Kampfhandlungen unmittelbare Konsequenzen für Menschen, Wirtschaft und Umwelt haben, ist klar. Wie stark die längerfristigen Auswirkungen nationaler Konflikte sind, konnten nun Forschende um Kristina Petrova und Håvard Hegre (Uni Uppsala) beziffern: Sie haben für alle Staaten der Welt das Konfliktpotenzial abgeschätzt und dann die jeweilige Entwicklung entlang der fünf sozioökonomischen Pfade berechnet. Das Ergebnis: Wenn man Bürgerkriege in die Rechnung miteinbezieht, ist die Wirtschaftsleistung (BIP) im Jahr 2100 im Schnitt um 25 Prozent niedriger als in einer friedlichen Welt. Besonders stark ist das Minus in den pessimistischen Szenarien SSP3 und SSP4 sowie in konfliktreichen Regionen wie etwa Ostafrika oder Südasien (Environmental Research Letters, 27. 1.).

„Die bisherigen Projektionen für das 21. Jahrhundert sind viel zu optimistisch“, so der zentrale Schluss der Forschenden. Welche Auswirkung dies auf die künftigen Treibhausgasemissionen hat, wurde bisher noch nicht berechnet.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2023)

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