Gastbeitrag

Die Armut des Antikapitalismus

Peter Kufner
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So schlecht geht es der globalen Wirtschaft derzeit nicht, doch sie ist von Ablehnung des Markts und Wachstumsskepsis geprägt.

Unsere Welt ist verwirrend und verwirrt. Die internationale Wirtschaft läuft gut, aber die politische Ökonomie ist von Ablehnung des Markts, Frustration über die Globalisierung und Wachstumsskepsis geprägt. Selbst ein großer Teil der globalen Elite klagt über ein angebliches Marktversagen, die Globalisierung und zu viel Wachstum.

Der Autor


Harold James (* 1956 in Bedford) studierte in Cambridge Wirtschaftsgeschichte. Seit 1986 lehrt er als Professor in Princeton Geschichte und Internationale Politik und ist Senior Fellow am kanadischen Center for International Governance Innovation. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt erschien „The War of Words: A Glossary of Globalization“ (Yale University Press, 2021).

Wo die Ablehnung des Markts herkommt, lässt sich am einfachsten erklären. Märkte brauchen Preise, und viele Menschen beobachten die Preise inzwischen mit einer Mischung aus Angst und Unverständnis. Obwohl die Preise allgemein gestiegen sind, haben einige Errungenschaften des 21. Jahrhunderts überhaupt keinen ersichtlichen Preis. Die Verbraucher sind inzwischen an überall verfügbares Internet und kostenlose Dienstleistungen wie Suchmaschinen gewöhnt. Sie können ein unbegrenztes Unterhaltungsangebot herunterladen oder streamen, und sie werden mit Nachrichtenmedien überschwemmt, für die sie in den meisten Fällen nicht zahlen. In vielen Ländern erhalten die Bürger sogar eine scheinbar kostenlose Gesundheitsversorgung. Selbst Amerikas notorisch überteuertes Gesundheitssystem hat Corona-Impfungen und -Tests verschenkt.

Gleichzeitig haben eine lockere Fiskal- und Geldpolitik sowie die durch die Pandemie und den russischen Angriff auf die Ukraine verursachte Störung der Lieferketten die Inflation angeheizt und die Lebenshaltungskosten in die Höhe getrieben. Wir träumen von einer Zukunft, in der alles kostenlos ist, aber unsere Gegenwart fühlt sich unbezahlbar und halsabschneiderisch an. Der Wunsch der Bürger nach staatlichen Maßnahmen, die die Preissteigerungen bremsen oder umkehren, setzt die Politik unter Druck, dem sie wenig entgegensetzen kann.

Allerdings machen solche Maßnahmen die Dinge oft nur schlimmer. Wenn Regierungen versuchen, Preise niedrig zu halten, steigt die Nachfrage weiter und Artikel des Grundbedarfs werden knapp. Diese Knappheit schürt Ängste vor einer wirtschaftlichen Abhängigkeit von ausländischen Ressourcen – seien es russisches Gas, taiwanesische Halbleiter, chinesische Elektronik, seien es indische Antibiotika.

Ein naiver Glaube an die globale Einheit ist dem gefährlichen Irrglauben gewichen, all diese internationalen Verbindungen sollten besser gekappt und der nationale Bedarf müsse aus dem eigenen Land gedeckt werden. Die Pandemie und Russlands Krieg haben den scheinbaren Rückbau der Globalisierung, der mit der Finanzkrise von 2008 eingeläutet wurde, weiter verstärkt. Nationale Autarkie ist das Gebot der Stunde.

Das bringt uns zu der neuen Wachstumsskepsis. Durch die Deglobalisierung werden Ressourcen teurer. Dies wirft bei vielen die Frage auf, warum wir überhaupt so viele Güter aus dem Ausland brauchen. Sollten wir nicht mehr alles am Wirtschaftswachstum messen, sondern uns lieber auf die Nachhaltigkeit konzentrieren, die wir durch einen einfacheren Lebensstil erreichen können?

Bestseller mit Nichtwachstum

Bücher, in denen dieses Nichtwachstum oder Negativwachstum skizziert wird, sind heute Bestseller. In Japan argumentiert der Philosoph Kohei Saito, der Kapitalismus habe seine ökologischen Grenzen erreicht und müsse durch einen auf negatives Wachstum abzielenden Kommunismus ersetzt werden. In Deutschland prophezeit die Journalistin Ulrike Herrmann nach derselben Logik das „Ende des Kapitalismus“.

Die Attraktivität dieser Botschaft liegt aber weniger in ihrer Logik als bei ihrer Zielgruppe. Japan und Deutschland sind extreme Fälle eines demografischen Phänomens, das in den meisten Industriestaaten und – seit Neuestem – auch in China zu beobachten ist. Sinkende Geburtenziffern und eine immer höhere Lebenserwartung haben dazu geführt, dass ihre Bevölkerung überaltert und schrumpft. Dadurch vermischen sich ältere Sorgen um die wirtschaftliche Nachhaltigkeit mit dem neuen Verdacht, dass die Alten das politische System zu ihren Gunsten manipulieren.

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Natürlich machen die neuen wachstumskritischen Manifeste den Versuch, eine alternative, nicht auf Preisen basierte und nicht globalisierte Wirtschaft zumindest zu skizzieren. Die historischen Parallelen, die sie ziehen, sind jedoch völlig falsch. So lassen sie sich etwa vom britischen Rationierungssystem während des Zweiten Weltkriegs inspirieren, durch das verhindert wurde, dass die Reichen zu viel konsumieren. Tatsächlich war Großbritannien in den 1940er-Jahren vollständig von den USA abhängig, das heißt von externen Lieferungen und einer externen Produktivitätsrevolution. Wie in jeder Planwirtschaft wurden auch in Großbritannien viele Waren knapp, und es entstand eine von zwielichtigen Schwarzmarkthändlern und Schiebern regierte Schattenwirtschaft. Ebendiese illegalen und undurchsichtigen Märkte führen zu Korruption und Misstrauen und untergraben den sozialen Zusammenhalt. Die Alternative zur transparenten Marktwirtschaft ist keine rational verwaltete Wirtschaft, sondern die schlimmste Form von Kapitalismus.

Brauchen keine Preisdeckel

Manche Planwirtschaften sind so unflexibel und kritikunfähig, dass sie unter dem Druck der Güterknappheit zerbrechen. Wie der brillante ungarische Wirtschaftswissenschaftler János Kornai gezeigt hat, wurden die kommunistischen Planwirtschaften des 20. Jahrhunderts durch Mangelwirtschaft – und das dadurch ausgelöste Horten und dysfunktionale Verteilen von Gütern – untergraben und schließlich zerstört.

Um die globalen Herausforderungen unserer Zeit zu lösen, brauchen wir ehrliche Preise, die zuverlässige Informationen über die Kosten liefern – und keine Preisdeckel. Dies wird jedoch einiges an Innovation und Erfindungsgeist erfordern. So brauchen wir womöglich negative Preise, die den Verbrauchern klarmachen, dass sie in Wirklichkeit ihre persönlichen Daten verkaufen, wenn sie „kostenlose“ digitale Dienstleistungen nutzen. In anderen Worten: Die eigenen Daten sollten einen positiven Preis erzielen.

Der ökologische Nutzen einer genauen Preisbildung ist noch offensichtlicher. Wir dürfen nicht länger zulassen, dass Verschmutzer die realen Kosten ihrer Tätigkeit auf andere abschieben. Nur marktbasierte Energiepreise bieten den Verbrauchern Anreize zum Energiesparen und bringen Investoren dazu, ihr Geld in günstigere erneuerbare Energiequellen zu stecken.

Marktmechanismen sind so wirksam, weil sie unzählige dynamische Aktionen anregen – das kann keine noch so intelligente Planungsstelle in einer Mangelwirtschaft leisten. Damit ein Markt korrekt funktioniert, müssen auch die externen Kosten des wirtschaftlichen Handels eingepreist werden. Wenn wir unser Wirtschaftssystem verbessern wollen, brauchen wir Mut und Fantasie, aber auch konkrete Informationen, die nur der Preismechanismus erzeugt. Wachstum schafft die Ressourcen, die wir zur Lösung großer Probleme brauchen. Damit dies gelingen kann, brauchen wir aber weiterhin Märkte und Austausch.

© Project Syndicate, 1995–2023

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2023)

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