Liberal betrachtet

Das neue BVT-Narrativ des Bundespräsidenten

Der seinerzeitige Konflikt zwischen dem kasachischen Präsidenten und seinem Schwiegersohn wirkt bis heute.

Bislang hat man in juristisch-korrekten Kreisen die Vorgänge um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im Jahr 2018 als Folge einer WKStA-Hausdurchsuchung eingeschätzt, die gerichtlich genehmigt war und mithilfe von Straßenpolizisten durchgeführt wurde. Wegen der strafrechtlichen Vorwürfe sei ein solches Vorgehen notwendig gewesen. Gesamtstaatliche Überlegungen spielen in so einem Fall für Begriffsjuristen keine Rolle.

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Bundespräsident Van der Bellen hat mit einem Interview knapp vor seiner Angelobung dieses Narrativ korrigiert. Herbert Kickl habe damals eine Razzia gegen das eigene Haus, das Innenministerium, gemacht, die zu nichts außer einem Vertrauensverlust bei ausländischen Nachrichtendiensten geführt habe. Der Erzählwechsel ist erfreulich und unerfreulich zugleich. Er ist erfreulich, weil da endlich jemand die juristische Erfolgslosigkeit der BVT-Ermittlungen anspricht und die Staatssicherheit in Relation zum Ermittlungsdrang setzt. Unerfreulich ist der Narrativschwenk, weil Herbert Kickl ein Einfluss auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwalt attestiert wird, den es nie und nimmer geben kann. Wenn dieses Beispiel Schule macht, wird Kickl demnächst auch für die WKStA-Leerläufe in Sachen Chorherr, Strache und Blümel verantwortlich gemacht. Dass jede Dämonisierung des FPÖ-Parteichefs als Staatsfeind Nummer eins nur nach hinten losgehen kann, zeigen die jüngsten Landtagswahlen. Treffsicherer kann Wahlkampfhilfe für die FPÖ kaum sein.

Die Worte des Bundespräsidenten über die Demontage des Verfassungsschutzes geben einen willkommenen Anlass, sich die Geschichte dieser „Razzia“ in Erinnerung zu rufen.

Im fernen Kasachstan gab es einmal einen Staatspräsidenten, der sich mit seinem Schwiegersohn überworfen hatte. Dieser suchte daher 2007 Unterschlupf in Österreich. Der Schwiegervater tat alles, um den Schwiegersohn zu verfolgen, und zwar wegen zweifachen Mordes. Darüber schrieb der Schwiegersohn zwei Bücher, die erstaunliche Einblicke in das österreichische Innenleben gewähren: „The Godfather-in-law“ und „Tatort Österreich“. 2014 gab die österreichische Justiz schließlich dem kasachischen Drängen nach und nahm den Schwiegersohn in U-Haft. Ein paar Monate danach kam er in seiner Zelle ums Leben.

Damit war die Geschichte aber noch nicht vorbei. Die österreichische Justiz hegte den Verdacht, dass jener kasachische Verein, der die Witwen der beiden mutmaßlichen Mordopfer vertrat, in Wirklichkeit eine Tarnorganisation des Geheimdiensts Kasachstans sei. Daher verfolgte sie den österreichischen Anwalt dieses Vereins wegen Unterstützung eines ausländischen Geheimdiensts. Nachdem dieses Verfahren im Sand verlaufen war, kämpfte der Anwalt beziehungsintensiv um sein Recht auf Vergessenwerden. Die WKStA witterte Amtsmissbrauch im BVT wegen angeblich nicht gelöschter Daten und ordnete Hausdurchsuchungen an, um der Löschung ebendieser Daten zuvorzukommen.

Wer weiß, wie sich die Geschichte entwickelt hätte, wenn der kasachische Schwiegersohn 2007 nicht nach Wien gekommen wäre. Vielleicht täte man sich auch leichter bei der Bildung einer neuen Landesregierung in Niederösterreich.

Dr. Georg Vetter (*1962) ist Anwalt und Präsident des Clubs Unabhängiger Liberaler. Er war Mitglied des Teams Stronach, wechselte 2015 in den Parlamentsklub der ÖVP und schied 2017 endgültig aus dem Nationalrat aus.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2023)

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