Kiewer Parlament verlängert Kriegsrecht und Mobilmachung - US-Institut für Kriegsstudien: Zeitfenster für russische Großoffensive begrenzt - Moskau zufrieden mit Kampfverlauf bei
Moskau verstärkt nach ukrainischen Angaben offenbar zur Vorbereitung einer neuen Offensive seine Streitkräfte in der Ostukraine. "Wir sehen, dass immer mehr Reserven in unsere Richtung verlegt werden, wir sehen, dass mehr Ausrüstung herbeigeschafft wird", sagte Serhij Hajdaj, Gouverneur der größtenteils von russischen Truppen besetzten Region Luhansk. Das wegen der russischen Invasion verhängte Kriegsrecht wurde vom Parlament in Kiew um weitere 90 Tage verlängert.
Für die bereits fünfte Verlängerung stimmten am Dienstag nach Medienberichten 348 Abgeordnete. 226 Stimmen wären notwendig gewesen. Verlängert wurde auch die allgemeine Mobilmachung. Damit unterliegen Männer im wehrpflichtigen Alter von 18 bis 60 Jahren bis auf wenige Ausnahmen weiter einer Ausreisesperre. Die Regelung gilt vorläufig bis zum 20. Mai.
Im Zusammenhang mit Berichten über massive Verluste tauchten zuletzt vermehrt Videos darüber auf, wie Musterungsbescheide Passanten in ukrainischen Städten ausgehändigt wurden. Kiew wehrt seit fast einem Jahr mit westlicher Hilfe einen russischen Angriff ab. Russland kontrolliert einschließlich der 2014 annektierten Halbinsel Krim gut 20 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets.
Britischer Geheimdienst sieht keinen Wendepunkt
Der britische Geheimdienst rechnet nicht mit einem bevorstehenden russischen Durchbruch. Er erklärte am Dienstag, es sei unwahrscheinlich, dass Russland über genügend Kräfte verfüge, um den Krieg innerhalb weniger Wochen entscheidend zu beeinflussen. Den Streitkräften sei es nur gelungen, "mehrere Hundert Meter" pro Woche zu erobern, teilte das Verteidigungsministerium mit. "Dies liegt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit daran, dass Russland nun die für erfolgreiche Offensiven erforderliche Munition und Manövriereinheiten fehlen." Russland versucht die völkerrechtswidrig annektierten Donbass-Regionen Donzek und Luhansk im Osten der Ukraine vollständig zu erobern.
Die Ukraine erwartet, dass Russland vor dem Jahrestag der Invasion am 24. Februar eine neue Offensive starten wird. "Sie bringen Munition, die anders eingesetzt wird als früher - es wird nicht mehr rund um die Uhr geschossen. Sie fangen langsam an zu sparen und bereiten sich auf eine Großoffensive vor", sagte Hajdaj im ukrainischen Fernsehen. "Sie werden wahrscheinlich zehn Tage brauchen, um Reserven zu sammeln." Nach dem 15. Februar könne man jederzeit eine russische Offensive erwarten.
Zeitfenster schließt sich
Laut dem US-Institut für Kriegsstudien (ISW) sehen russische Militärblogger das Zeitfenster für eine erfolgreiche russische Offensive als begrenzt an. Die russische Militärführung habe es demnach eilig, eine Offensive zu starten, bevor westliche Militärhilfe in der Ukraine eintreffe. Zudem bringe das Tauwetter im Frühjahr schlammige Böden und behindere damit schnelle Offensivbewegungen, schrieb die in Washington ansässige Denkfabrik in ihrem jüngsten Bericht am Montag (Ortszeit).
Zuletzt hatte es russische Geländegewinne um die Stadt Bachmut in der Ostukraine gegeben. Trotz Berichten über äußerst blutige Kämpfe und massive Verluste zeigte sich Russlands Militärführung am Dienstag zufrieden mit der Lage an der Front im Osten der Ukraine. "Derzeit entwickeln sich die Kampfhandlungen in den Regionen Wuhledar und Artjomowsk (russische Bezeichnung für Bachmut) erfolgreich", sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu.
London vermutet, dass Kommandanten aufgrund von politischem Druck aus Moskau unrealistische Ziele verfolgen, die sie mit den vorhandenen, unterbesetzten und unerfahrenen Einheiten aber nicht erreichen könnten. "Die russische Führung wird wahrscheinlich weiterhin weitreichende Vorstöße fordern", so das Verteidigungsministerium auf Basis seines geheimdienstlichen Lageberichts. Es bleibe aber unwahrscheinlich, dass Russland in den kommenden Wochen die Kräfte aufstellen könne, die nötig seien, um den Ausgang des Krieges wesentlich zu beeinflussen,
Ukraine bereitet ebenfalls Offensive vor
Die Ukraine selbst plant eine Frühjahrsoffensive zur Rückeroberung verlorener Gebiete, wartet aber auf die Lieferung der versprochenen Kampfpanzer und Raketen mit größerer Reichweite aus dem Westen. Aus Russland, das den Krieg gegen das Nachbarland vor fast einem Jahr begonnen hat, gab es auch einmal mehr Kritik an der westlichen Militärhilfe für die Ukraine. Die Lieferung von Offensivwaffen werde die Kämpfe nur in die Länge ziehen, behauptete Schoigu. "Faktisch ziehen solche Schritte die Nato-Staaten in den Konflikt hinein und können zu einer unvorhersehbaren Eskalation führen." Bei ihrer Verteidigung ist die Ukraine auf internationale Unterstützung angewiesen. Mehrere Länder - auch Deutschland - haben die Lieferung von Kampfpanzern zugesagt. Berlin betont, keinesfalls zur Kriegspartei werden zu wollen.
(APA/dpa/Reuters)