Gastkommentar

Die wahren Probleme im niedergelassenen Bereich

(c) Peter Kufner
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Betreiben niedergelassene Ärzte Spitalseinweisungen in verantwortungsloser Weise? Die Realität sieht anders aus.

DER AUTOR

Dr. Wolfgang Werner praktiziert als Arzt für Allgemeinmedizin in Wien. Er ist Bezirksärztevertreter im 10. Bezirk und Präsident des Österreichischen Hausärzteverbands (ÖHV) – Landesgruppe Wien.

Der ÖHV ist ein unabhängiger Berufsverband, der sich für die Interessen der niedergelassenen Allgemeinmediziner einsetzt.

Allenthalben liest man, dass das österreichische Gesundheitssystem nicht mehr funktioniere. Es sei viel zu teuer, und nirgendwo gäbe es so viele Spitalsbetten wie hierzulande. Als Lösung für die Probleme werden Auslagerungen aus den Spitälern in den niedergelassenen Bereich gefordert. Restriktionen bei Zuweisungen zu den Fachambulanzen durch Allgemeinmediziner werden schon seit mehreren Jahren getätigt, und die Zahl der Spitalsbetten soll reduziert werden.

Wie werden Betten gezählt?

Bisher konnte ich noch immer nicht verifizieren, ob die Zahlen der Spitalsbetten in unterschiedlichen Ländern vergleichbar sind. Liegen denn wirklich dieselben Messparameter den Statistiken zugrunde, die einzelne Länder miteinander vergleichen? Wie sind Spitalsbetten definiert, und gelten diese Definitionen überall, oder hat jedes Land seine eigene Definition? Ist zum Beispiel ein Tagesbett schon ein Bett, oder zählt es erst dann, wenn es 24 Stunden belegt ist? Es ist doch anzunehmen, dass in vergleichbaren westlichen Industriestaaten, deren Bevölkerungen einander ähneln, auch die Gesundheitsdaten ähnlich sind und damit wiederum die Rate der Spitalsbetten überall ähnlich hoch sein sollte. Dass etwa in der Schweiz nur halb so viele Spitalsbetten pro Einwohner angegeben werden wie in Österreich, ist nicht selbsterklärend. Hier könnte ein Definitionsunterschied vorliegen.

Auch ist nicht bekannt, dass die niedergelassene Ärzteschaft in verantwortungsloser Weise Spitalseinweisungen betreibt und damit die Zahl der Spitalsbetten nach oben treibt. Um zwei Extreme zu bemühen: Es wird wohl überall die Diagnose Herzinfarkt eine Spitalsaufnahme bedingen und damit zur Belegung eines Spitalsbetts führen, während im anderen Extrem die Diagnose einer Nagelpilzerkrankung immer eine ambulante Behandlung nach sich ziehen wird, ohne ein Spitalsbett in Anspruch zu nehmen.

Außerdem wird immer wieder behauptet, dass Patienten aus Kostengründen zwischen den Kostenträgern verschoben werden. Das sind aber Beweggründe, die im niedergelassenen Bereich irrelevant sind, weil es hier eine starke Einzelbindung zur Einzelpraxis des Vertrauens gibt.

Mangelnde Kostendeckung

Das Problem ist völlig anders geartet: Oft einfache, aber medizinisch notwendige Eingriffe können gar nicht gemacht werden, weil sie wegen mangelnder Kostendeckung bei gleichzeitig großem zeitlichen, administrativen und strukturellen Aufwand nicht durchgeführt werden. Spitalsambulanzen werden mit solchen Ansinnen erst gar nicht bemüht.

Dazu einige Beispiele: Wohin soll man auslagern? Soll man den Herzkatheter in der Praxis machen und dann nach der Rettung schreien, wenn bei der Dilatation eine Kranzarterie gerissen ist? Für solche Eingriffe benötigt man also auf jeden Fall die Infrastruktur des Spitals. Dagegen gehört die vielfach bemühte vereiterte Zehe natürlich in die Ordination. Sie kann aber dort nur behandelt werden, wenn deren Sanierung vollständig bezahlt wird. Gerade bei solchen Erkrankungen ist nämlich der operative Aufwand im Verhältnis zur Erkrankung sehr groß: Steriles Abdecken, Assistenz, Instrumentarium, operativer Eingriff, nachfolgende Sterilisierung des Instrumentariums – evaluiert und validiert –, das alles ist immens aufwendig und teuer für eine minimale Operation und wird von den Kassen nicht einmal annähernd kostendeckend honoriert. Von einer betriebswirtschaftlich nötigen Gewinnspanne ist überhaupt keine Rede.

Als erfahrenem Arzt und Bezirksärztevertreter sind mir keine bewusst unnötigen Einweisungen aus Bequemlichkeit und Kostenverschiebung bekannt, aber aus den oben genannten Gründen Probleme bei sogenannten kleinen Eingriffen.

Kein Parkpickerl

Auch erzeugt es großen Unmut im niedergelassenen Bereich, wenn das für einen Ordinationsbetrieb unentbehrliche Auto nicht in der Nähe der Ordination abgestellt werden kann, weil von der Gemeinde Wien kein Parkpickerl vergeben wird. Das muss man sich erst vorstellen, was sich ein Ordinationsgründer denkt, wenn er sein Auto aus Mangel an einer Abstellerlaubnis nicht entsprechend nutzen darf und nur teure, zeitlich beschränkte und betriebsbedürfnisfremde Time-Slots möglich sind. So geht Ordinationsführung nicht, Erkrankungen halten sich nicht an Zeitfenster!

Seit Jahren versuchen wir nachdrücklich, aber vergebens, mit der Gemeinde Wien zu einer Lösung zu kommen. Man kann sich leicht vorstellen, dass eine solche Sekkiererei nicht gerade zur Niederlassung motiviert. Ganztägiges Parken zum Anwohnertarif ist eine Mindestvoraussetzung dafür, dass sich jemand als Arzt niederlässt.

Der Weg in die Staatsmedizin

Bezüglich der Verteilung der medizinischen Versorgung wurde ein „Regionaler Strukturplan Gesundheit“ (RSG) geschaffen, der darauf abzielt, die Ärzteschaft in Primärversorgungseinheiten (PVE) zu konzentrieren, um damit den Ärztemangel zu beheben. Diese PVE existieren allerdings nur mit massiver Subventionierung und höhlen die Freiberuflichkeit der dort niedergelassenen Ärzte aus. Sie unterliegen dirigistischen Auflagen, die typisch für von der Öffentlichkeit betriebene Einrichtungen sind, aber niemals Privatbetriebe charakterisieren – sie sind der Weg in die Staatsmedizin. Auch bringen sie nicht eine Vermehrung von Ärzten, sondern nur deren Zusammenballung in einer Lokalität – zum Nachteil wohnortnaher Versorgung.

Es ist sicher sinnvoll, das Gesundheitswesen in toto von den Kassen finanzieren zu lassen – um eine wirtschaftliche Verbesserung der niedergelassenen Kassenmedizin wird man aber nicht umhinkommen, weil deren Existenz nur mit schwarzen Zahlen möglich ist.

Chefarztpflicht

Ein weiterer Faktor, den niedergelassenen Bereich attraktiver zu gestalten, ist der Bürokratieabbau, insbesondere die Reduktion der Chefarztpflicht. Ich verstehe schon, dass die Kasse eine Kontrollmöglichkeit bei besonders teuren Medikamenten haben möchte.

Aber Standardmedikamente, die State of the Art sind, können nicht abgelehnt werden, weil man Patienten notwendige und anerkannte Therapien, insbesondere mit Gerinnungsmedikamenten und Diabetestherapeutika, nicht vorenthalten kann. Uns niedergelassenen Ärzten würde die Redimensionierung der Chefarztpflicht mit teilweise langwierigen Bewilligungsmails, die noch dazu über ein wenig bedienerfreundliches Tool abgewickelt werden, eine bürokratische Behinderung beseitigen.

Diverse Finanzierungsmodelle, insbesondere die Pauschalierungsmodelle, dienen nur der Verschleierung von Honorarreduktionen und würden zu einer Demotivierung der Kollegenschaft führen und den Niedergang der Kassenmedizin vorantreiben – so geht's garantiert nicht!

E-Mails an:debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2023)

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