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Erdbeben in der Türkei: Zahl der Todesopfer steigt auf über 11.100

Aftermath of the deadly earthquake in Kahramanmaras
Aftermath of the deadly earthquake in Kahramanmarasvia REUTERS
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Im Katastrophengebiet in der Türkei wurden mehr als 8500 Opfer gemeldet, Syrien sprach von mehr als 2500 Toten. Die Zahlen wurden nahezu stündlich nach oben korrigiert. Helfern warnen, die Zeit werde knapp, um Verschüttete noch lebend bergen zu können.

Zwei Tage nach der Erdbeben-Katastrophe im Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien ist die Hoffnung auf weitere Überlebende zunehmend geschwunden. Mehr als 11.000 Leichen wurden bis Mittwochmittag geborgen. Es dürften viele mehr werden, da immer noch zahlreiche Opfer unter den Trümmern Tausender eingestürzter Häuser vermutet wurden. Überlebende harrten die zweite Nacht bei eisigen Temperaturen im Freien aus, während sie erschöpft und verzweifelt auf Hilfe warteten.

Viele schliefen in Autos oder auf den Straßen unter Decken. "Wo sind die Zelte? Wo sind die Lkw mit Lebensmitteln?", schimpfte eine 64-Jährige in der schwer von den Erdstößen getroffenen südtürkischen Stadt Antakya. Rettungsteams habe sie bisher nicht gesehen, auch Lebensmittel würden nicht verteilt. "Wir haben das Erdbeben überlebt, aber wir werden hier vor Hunger oder Kälte sterben."

Präsident Recep Tayyip Erdogan traf in der Provinz Kahramanmaras ein, in der Nähe des Erdbeben-Epizentrums. Allein in der Türkei wurden inzwischen 8.574 Tote gezählt. Mehr als 49.000 Menschen seien verletzt, 6000 Gebäude zerstört, sagte Erdogan. Umgeben von Journalisten räumte Erdogan ein, dass die Hilfe am ersten Tag nur schleppend angelaufen sei. Es habe Probleme mit Straßen und Flughäfen gegeben. Aber jetzt sei die Lage unter Kontrolle. Er versprach Hilfe für obdachlos geworden Menschen und den Neubau von Häusern innerhalb eines Jahres.

Gleichzeitig rief er dazu auf, nur auf Anweisungen der Behörden zu hören und nicht etwa auf "Provokateure" - was offenbar als Seitenhieb auf die immer lauter werdende Kritik an dem von vielen Türken als zu langsam und völlig unzureichenden empfundenen Hilfseinsatz zu verstehen war. Erdogan befindet sich mitten im Wahlkampf. Er muss um seine Wiederwahl im Mai fürchten.

Kemal Kilicdaroglu, Chef der größten Oppositionspartei CHP, warf Präsident Erdogan indes Versagen beim Krisen-Management vor. Der Präsident habe es versäumt, das Land in seiner 20-jährigen Regierungszeit auf solch ein Beben vorzubereiten. Die Türkei ist wegen ihrer geografischen Lage besonders erdbebengefährdet. Vielerorts wird jedoch auch die dürftige Bausubstanz als ein Grund für die vielen eingestürzten Häuser diskutiert.

Aus Syrien wurden bisher mehr als 2500 Tote gemeldet. Dort ist die Lage besonders unübersichtlich. Internationale Hilfe lässt sich nur schwer organisieren. Nach fast zwölf Jahren Bürgerkrieg waren in dem Land bereits vor der Katastrophe zahlreiche Straßen und Häuser beschädigt oder zerstört. Von dem Beben betroffen sind sowohl Gebiete, die von der Regierung gehalten werden, als auch von Rebellen. Wie in der Türkei beklagten die Menschen auch hier eine zu langsame Reaktion der Behörden. Bewohner, die in von der Regierung kontrolliertem Gebieten leben, sagten in Telefonaten, dass manche Gegenden mehr Hilfe als andere erhielten.

Erheblich mehr Tote

Ein Rettungsdienst, der im von Aufständischen gehaltenen Nordwesten Syriens aktiv ist, teilte auf Twitter mit, dass noch mit erheblich mehr Toten zu rechnen sei. Hunderte Familien befänden sich unter den Trümmern - und das mehr als 50 Stunden nach dem Erdbeben. Die politische Lage erschwerte die Hilfe - so etwa am einzigen offenen Grenzübergang Bab al-Hawa zwischen der Türkei und Syrien. Wegen Straßenschäden verzögere sich dort die Lieferung humanitärer Hilfe, sagten UNO-Quellen.

Indes stellte auch die syrische Regierung einen Antrag auf Katastrophenhilfe an die EU. Das Hilfsersuchen umfasse eine lange Liste an gängigen Katastrophenschutzgütern, sagte der für das EU-Krisenmanagement zuständige Kommissar Janez Lenarcic am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Brüssel. Demnach fragt Syrien etwa nach Medikamenten, Lebensmitteln und nach medizinischen Geräten. "Ich ermutige die EU-Staaten, auf die Anfrage zu reagieren", sagte Lenarcic.

Notfallhilfe in der Höhe von 25 Millionen Dollar

Das UNO-Nothilfebüro OCHA kündigte einen Notfallfonds in Höhe von 25 Millionen Dollar (23 Millionen Euro) für die Erdbebenopfer in der Region an. "Die humanitäre Gemeinschaft wird sie bei jedem Schritt auf dem Weg aus dieser Krise unterstützen", sagte UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths. Trotz der weitreichenden politischen Isolation der syrischen Regierung erhält auch das Bürgerkriegsland internationale Hilfe. Der Oman eröffnete eine Luftbrücke, um Hilfsgüter zu schicken, wie die staatliche Nachrichtenagentur ONA am Mittwoch meldete.

Mit einer Stärke von 7,7 bis 7,8 hatte das Beben in der Nacht auf Montag das Gebiet an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien erschüttert. Montagmittag folgte dann ein weiteres Beben der Stärke 7,5 in derselben Region. Tausende Gebäude stürzten ein. Die Bergungsarbeiten sind ein Rennen gegen die Zeit: Die kritische Überlebensgrenze für Verschüttete liegt normalerweise bei 72 Stunden.

Von einem kleinen "Wunder" konnte am Mittwoch ein Krankenhaus im Norden Syriens berichten. Dort war den Angaben zufolge ein Baby in den Trümmern zur Welt gekommen und hat überlebt. Dem kleinen Mädchen gehe es gut, sagte der behandelnde Arzt Hani Maruf im Krankenhaus Afrin. Das Heimatdorf der Familie nahe der türkischen Grenze wurde von den Erdbeben schwer getroffen. Die gesamte Familie des Babys kam bei der Katastrophe ums Leben.

In der Südosttürkei bargen Rettungskräfte eine Frau 52 Stunden nach dem Beben lebend unter den Trümmern. Bilder des Senders NTV zeigten am Mittwoch, wie die Einsatzkräfte in der Provinz Kahramanmaras die Frau auf einer Trage zum Krankenwagen trugen. Sie ist demnach 58 Jahre alt und aus einem eingestürzten Hotel geborgen worden.

Der Österreicher Semsetin Sümpültepe (63) befand sich auf Heimatbesuch bei seiner Familie in der Türkei. Am Montag überraschte den Pensionisten das Beben im Haus seiner Mutter in Iskenderun. Wie durch ein Wunder überlebten er und die 84-Jährige in dem Gebäude. Jetzt bangen sie um ihre Verwandten, die noch in den Trümmern liegen. "Wir haben keinen Strom, es ist eiskalt hier", sagte Sümpültepe im Telefongespräch mit der Austria Presse Agentur. "Kälte, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit", so beschrieb er die Lage in seiner Heimatstadt Iskenderun in der Provinz Hatay.

Bundesheer hilft in der Region Hatay

Seit Dienstag sind 81 Soldaten und vier Soldatinnen der Katastrophenhilfseinheit Austrian Forces Disaster Relief Unit (AFDRU) im Einsatz in der türkischen Provinz Hatay. Die dicht besiedelte Region ist eines der am stärksten betroffenen Gebiete nach dem verheerenden Erdbeben. "Es gibt nur mehr wenige Gebäude, die nicht zerstört sind. Die Leute schlafen in ihren Autos unter Zeltplanen", berichtete der tv. AFDRU-Leiter Bernhard Lindenberg im Gespräch mit der APA."Die Lage ist schlimmer als erwartet", sagte er. Das Bundesheer werde daher mit offenen Armen empfangen.

Wie das Außenministerium am Dienstag mitgeteilt hatte, wurden zwei Österreicher in der Provinz Kahramanmaras in Anatolien tot geborgen. Weitere Tote oder Vermisste mit österreichischer Staatsbürgerschaft gab es bisher nicht.

(APA/AFP/Reuters/Red. )

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