Gastkommentar

OSZE: Keine woke Cancel Culture

Einwurf. Was hätten internationale Treffen für einen Sinn, wenn man nur mit jenen spricht, deren Ansichten man sowieso teilt?

Der Autor:

Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch Österreich mit dem Ansinnen konfrontiert wird, Teilnehmern an einem internationalen Treffen die Einreise zu verweigern. Letzte Woche war es unter dem üblichen medialen Getöse also so weit: 81 Abgeordnete aus 20 Ländern forderten Österreich in einem Brief auf, die Teilnahme der russischen Delegation bei der kommenden Tagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE in Wien zu verhindern. Man möge russischen Abgeordneten einfach keine Visa für die Einreise ausstellen. Die Teilnahme russischer Abgeordneter ein Jahr nach der „verbrecherischen Invasion“ in der Ukraine sei eine „Provokation“.

Die Parlamentarische Versammlung der OSZE vereint drei Mal im Jahr 323 Abgeordnete aus den 57OSZE-Staaten Europas, Asiens und Nordamerikas. Bei den letzten beiden Treffen im Vorjahr verweigerten die Gastgeberländer, Großbritannien und Polen, der russischen Delegation tatsächlich die Teilnahme. Für das jetzt anstehende Treffen in Wien ist die Ausgangslage jedoch eine völlig andere. Die OSZE hat ihren Sitz in Wien. Einem Mitgliedsland die Reise zu einem Treffen dieser Organisation zu verweigern, verbietet schon allein das geltende Sitzabkommen. Selbst die ominösen EU-Sanktionenlisten sehen gerade für solche Treffen eigene Ausnahmen vor.

Aber auch aus anderen, grundsätzlichen Gründen wäre es eine falsche Entscheidung gewesen, der russischen Delegation die Teilnahme am Treffen in Wien zu verweigern: Es ist das Wesen und Kernelement multilateraler und internationaler Treffen mit Menschen und Staaten zusammenzutreffen, mit denen man eben gerade nicht in allen Punkten und Ansichten übereinstimmt. Was hätten internationale Treffen für einen Sinn, wenn man sich nur mit jenen trifft und mit jenen spricht, deren politischen und moralischen Ansichten man sowieso teilt? Solche Treffen würden schnell zu einem Wohlfühlkaffeekränzchen internationaler Politik verkommen. Man sollte sich davor hüten, internationale Treffen und multilaterale Gespräche unter Wokeness-Aspekten abhalten zu wollen.

Natürlich birgt die Teilnahme der russischen Delegation die Gefahr, dass das Treffen für politische Propaganda missbraucht werden könnte und man die internationale Bühne für andere Zwecke als den politischen Dialog zwischen den Teilnehmenden benützt. Doch diese Gefahr besteht in internationalen Foren immer. Es ist die Aufgabe der Diplomatie und der Politik, solchen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken. Der Ausschluss einer Delegation von der Teilnahme an einem Treffen sollte jedenfalls nicht am Anfang der Überlegungen stehen. Der Wille zur Teilnahme muss vielmehr als grundsätzliche Bereitschaft zum politischen Dialog verstanden werden.

Drehscheibe der Diplomatie

Mit mehr als 40 zwischenstaatlichen Organisationen, rund 130 bilateralen und zahlreichen weiteren multilateralen diplomatischen Vertretungen mit etwa 3800 Diplomatinnen und Diplomaten sowie über 6000 internationalen Beamtinnen und Beamten ist Wien eine bedeutende Drehscheibe der internationalen Diplomatie. Man sollte sich davor hüten, dieses politische Kapital leichtfertig aufs Spiel zu setzen, indem man – von der internationalen Tages- und Interessenpolitik getrieben – auch nur an Überlegungen teilnimmt, wer an welchen internationalen Treffen überhaupt teilnehmen soll und wessen politische Nase einem zu Gesicht steht.

Internationale und multilaterale Politik darf nicht zu einer Spielwiese woker Cancel Culture verkommen. Dafür ist sie nämlich zu wichtig.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2023)

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