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Ex-Pink-Floyd-Chef: Angriff auf die Ukraine sei "nicht unprovoziert"

Pink Floyd co-founder Roger Waters is seen speaking on a video screen during a U.N. Security Council meeting on Ukraine at the United Nations headquarters in New York City
Pink Floyd co-founder Roger Waters is seen speaking on a video screen during a U.N. Security Council meeting on Ukraine at the United Nations headquarters in New York City(c) REUTERS (SHANNON STAPLETON)
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Auf Einladung Putins sprach Roger Waters beim UNO-Sicherheitsrat. Er erklärte zwar den Angriff Russlands als „illegal“, verurteilte aber „Provokationen“, die zu diesem geführt hätten, aufs Schärfste. Diese Äußerungen passen gut zum Weltbild, das der ehemalige Pink-Floyd-Chef seit Langem vertritt.

„Roger Waters, du bist antisemitisch bis in deinen verfaulten Kern“, twitterte die britische Schriftstellerin Polly Samson, „dazu ein Putin-Apologet und ein lügender, stehlender, heuchlerischer, steuerhinterziehender, Playback-singender, frauenfeindlicher, krankhaft neidischer Größenwahnsinniger. Genug von deinem Unsinn.“

Arge Worte. Umso ärger, als Polly Samson die Ehefrau von David Gilmour ist, dem Gitarristen von Pink Floyd, deren Mastermind Roger Waters war, zumindest von 1973 bis 1985, als er die Band im Zorn verließ. Gilmour dachte auch nicht daran, sich von der Attacke seiner Frau auf seinen Ex-Kollegen zu distanzieren, sondern twitterte: „Jedes Wort nachweislich wahr.“

Diese weitere Eskalation in der langen, oft auch über politische Themen geführten Kontroverse zwischen Waters und Gilmour hat einen politischen Anlass: Roger Waters hatte angekündigt, er werde auf Einladung Putins im UNO-Sicherheitsrat sprechen.

Das tat er dann am Mittwoch tatsächlich, wenn auch nur per Videozuspielung. Und er äußerte sich etwas gemäßigter, als man es nach seinen früheren Stellungnahmen zum Ukrainekrieg hätte erwarten können. In der „Berliner Zeitung“ hatte er etwa die USA als „Hauptaggressor“ in diesem Krieg bezeichnet, und im „Rolling Stone“ erklärt, dass die Nato schuld am russischen Angriff sei. Nun verurteilte er diesen explizit als „illegal“. Allerdings, so Waters, sei er „nicht unprovoziert“ gewesen: „Darum verurteile ich auch die Provokateure aufs Härteste“ (im Original: „in the strongest possible terms“). Über die Natur der angeblichen Provokation sagte er nichts Näheres, forderte aber einen sofortigen Waffenstillstand.

Proteste gegen Konzerte in Deutschland

So liegt Waters' aktuelles Statement ungefähr auf einer Linie mit dem Offenen Brief, den u. a. Peter Weibel und Alice Schwarzer im Mai 2022 veröffentlicht hatten. Immerhin: Seine paranoid anmutende Behauptung, er sei auf einer Todesliste, die von der ukrainischen Regierung unterstützt werde, wiederholte Roger Waters nicht. Dennoch wird sein UNO-Auftritt wohl die Forderungen neu anfeuern, dass seine Liveauftritte im Rahmen seiner Europatournee (Motto: „This Is Not A Drill“) zu canceln seien. Die in Polen geplanten Konzerte wurden bereits im September 2022 von den Veranstaltern abgesagt. In Deutschland sind fünf Konzerte programmiert. In Köln etwa plädiert die jüdische Gemeinde für eine Absage.

Nicht ohne Grund: Umstritten waren Waters' opulente Shows mit starkem Agitprop-Charakter schon lange vor dem Ukrainekrieg. So empörte er 2013, indem er einen Davidstern auf ein Schwein projizieren ließ. Auf Kritik hin erklärte er, er verwende auch andere Zeichen in seiner Show, das Schwein stehe für den Staat Israel, es sei nicht antisemitisch, gegen dessen Politik zu protestieren, die Waters „rassistisch“ nannte. Verantwortlich für diese seien Juden in den USA und Großbritannien, „weil sie für alles zahlen“, sagte er im „Rolling Stone“.

Waters verweigert Auftritte in Israel

Sogar für die Polizeigewalt in den USA gegen Schwarze sei Israel mitverantwortlich, meint Waters: Die US-Polizei habe ihre Praktiken von der israelischen Armee gelernt. Waters unterstützt dementsprechend die BDS-Bewegung, die für die Boykottierung Israels eintritt, und verweigert Konzerte in Israel.

Es wundert nicht, dass diese israelfeindliche, mit antisemitischen Untertönen versehene Haltung den ehemaligen Pink-Floyd-Kollegen unsympathisch ist. Wie auch Waters' Aktivismus zum Ukrainekrieg. Zu diesem haben sich Gilmour und Schlagzeuger Nick Mason anders positioniert: Sie veröffentlichten im April 2022 als Pink Floyd mit dem ukrainischen Sänger Andrij Chlywnjuk den Song „Hey, Hey, Rise Up!“. Waters reagierte damals, indem er seinen Ex-Kollegen „fehlende Menschlichkeit“ und „inhaltsloses Schwenken der blau-gelben Flagge“ vorwarf.

Dem US-Präsidenten Joe Biden warf er mehr vor, nämlich dass er ein Kriegsverbrecher sei. Es gebe eben noch anständige Leute im Westen, postete Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew: „Pink Floyd forever!“
Roger Waters sei nun endgültig auf der dunklen Seite des Mondes gelandet, kommentiert dagegen in diesen Tagen so mancher Pink-Floyd-Fan. Und spielt damit auf das kommerziell erfolgreichste Werk der Band an: „Dark Side Of The Moon“ ist vor bald 50 Jahren erschienen, am 9. März. Es war das erste Album, zu dem Waters praktisch allein die Texte schrieb – eine bittere bis zornige Abrechnung mit der westlichen Zivilisation, wie sie sich ihm darstellte. Rastlos („Breathe“, „Time“) von der Gier nach Geld und sinnlosem Luxus getrieben („Money“), dem Militarismus verfallen („Us And Them“), schließlich im Wahnsinn untergehend („Brain Damage“, „Eclipse“).

„The Wall“: Paranoia in der Zivilisation

Der große Erfolg des Albums verbitterte ihn erst recht: Auf dem nächsten Album „Wish You Were Here“ erkannte er die Musikindustrie als besonders verderbt („Welcome To The Machine“). Antisemitische Züge trug sein Antikapitalismus damals noch nicht. Doch hier, und erst recht auf „Animals“ (1977), herrscht schon die Vorstellung, dass es „ein System“ sei, eine Maschine eben, die am „beschissenen, traurigen modernen Leben“ schuld ist. Auf „The Wall“ (1979) verwendete er dann das Bild der Mauer, mit der sich die Hauptperson, der Musiker Pink, gegen die grausame Welt abschirmt („Goodbye Cruel World“), bevor er paranoid wird („Run Like Hell“) und gegen Minderheiten hetzt. „That one looks Jewish, and that one's a coon“, heißt es etwa in „In The Flesh“, und: „If I had my way, I'd have all of them shot.“

Sein Vater fiel im Zweiten Weltkrieg

Bestürzend, wie scharf Waters hier Züge eines Charakters persiflierte, dem er selbst immer mehr ähneln sollte, wenn man den Berichten seiner Kollegen glaubt. Wobei sein Antimilitarismus erstens verständlich war (und ist) und zweitens auf ein persönliches Trauma zurückgeht: Sein Vater starb im Zweiten Weltkrieg, 1944, in der Schlacht von Anzio. Das ist gemeint, wenn es in „Us And Them“ heißt, dass die Generäle aus dem Hinterland die Front in den Tod schicken. Viel genauer schilderte Waters diese Schlacht in „When The Tigers Broke Free“, mit dem Resümee: „That's how the High Command took away my daddy from me.“

Nein, das kann Waters' Anbiederung an Putin nicht entschuldigen, und seinen Hass auf Israel schon gar nicht. Aber es macht vielleicht verständlicher, wie er so werden konnte, dass ihn die Gefährten, mit denen er einst so wunderbare Musik machte, heute völlig ablehnen. „If I were a good man, I'd talk with you more often than I do“, sang Waters 1970 in „If“ zur weinenden Gitarre Gilmours. Vielleicht hört er diese Zeilen wieder einmal und folgt ihnen. Schön wär's.

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